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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis
Autoren: Richard Doetsch
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noch?«
    »Nein, ich tauge nicht zur Autorin. Ich arbeite als Beraterin für die Europäische Union auf dem Gebiet des Kulturaustausches.«
    »Hört sich aufregend an«, erwiderte Michael lachend.
    »Jetzt verstehst du sicher, warum ich gerne mit einem Gummiband um die Fußknöchel von Brücken springe.« Sie grinste. »Aber mal im Ernst: In meinem Beruf komme ich viel herum und kann mir meine Arbeit selbst einteilen. Und was noch besser ist – die meisten Europäer haben im August Ferien, sodass ich meinen Hobbys nachgehen kann.«
    »Den ganzen August? Wow. Als ich noch ein Junge war, hat mein Dad nie Ferien gemacht. Er war Buchhalter.«
    »Meine Mutter hatte auch nie Urlaub«, erwiderte KC, und dabei schwang ein Hauch von Traurigkeit in ihrer Stimme.
    »Hast du Geschwister?«, fragte Michael.
    »Eine jüngere Schwester. Sie arbeitet in London für Goldman Sachs. Und du? Hast du auch Geschwister?«
    »Ich bin Einzelkind. Hast du ein enges Verhältnis zu deiner Schwester?«
    »Ja. Obwohl sie ständig jammert, weil sie ihre eigene Firma aufmachen will. Langsam wird es nervig.«
    »Wenn sie mal Hilfe braucht …« Michael zückte seine Brieftasche, nahm eine Visitenkarte im Prägedruck heraus und reichte sie KC.
    »Stephen Kelley«, las sie laut von der Karte ab.
    »Er ist ein Finanzmensch, und wir stehen uns sehr nahe. Er könnte deiner Schwester vielleicht helfen. Sag ihr, sie soll Stephen sagen, dass sie mich kennt.«
    »Vielen Dank.« KC lächelte. Sie griff über den Tisch und nahm Michaels Hand.
***
    Während der nächsten Wochen trafen KC und Michael sich häufig. Sie spielten Golf und Tennis, aßen gemeinsam zu Abend und gingen zum Mittagessen ins Shun Lee Palace. Und ihre sportlichen Zweikämpfe waren zwar stets ernsthafter Natur, aber erfüllt von Lachen, Witzeleien und geistreichem Schlagabtausch.
    Der jeweilige Sieger erwarb sich das Recht, das Restaurant auszusuchen. Die Zahl der Siege war gleichmäßig verteilt. Die Spiele waren stets ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und der Verlierer kam am Ende immer mit der gleichen optimistischen Plattitüde: »Morgen ist ein neuer Tag.«
    Ihre zunehmend engere Beziehung war mit nichts zu vergleichen, was Michael bisher erlebt hatte; es war, als wäre KC eine Freundin, die er schon ewig kannte. Sie konnten stundenlang miteinander reden, über alles und jeden. Manchmal saßen sie einfach nur da und erfreuten sich an der Gegenwart des anderen.
    Michael verspürte ein Gefühl innerer Ruhe, wenn er in KCs Nähe war, und fand sie doch verlockend und sexy zugleich. KC wiederum besaß einen ausgeprägten Sinn für Humor, mit dem sie sich gern selbst auf die Schippe nahm.
    Fast ein Monat war vergangen, seit sie einander zum ersten Mal begegnet waren. KC respektierte Michaels Gefühle und den Schmerz über den Verlust, den er erlitten hatte. Sie wusste, dass man manche Dinge nicht übereilen durfte; dass Intimität nur entstehen konnte zwischen Menschen, die mit sich im Reinen waren und keinerlei Schuldgefühle empfanden.
    Michael hatte das Abendessen zubereitet. Die marinierten Steaks lagen bereits auf dem Grill. Auf dem gedeckten Tisch standen frische Blumen, und der Wein war entkorkt und dekantiert. Als KC zur Tür hereinkam, sah sie die kleine Schachtel, die auf ihrem Teller lag. Sie war von Tiffany’s, rechteckig und blassblau.
    Sie lächelten einander an; dann öffnete KC die Schachtel und nahm eine Kette mit einem kleinen silbernen Amulett heraus. Behutsam drehte sie sie um und las die Gravur:
    Morgen ist ein neuer Tag.
    Sie hielt das Amulett in der Hand und spürte, wie ihr warm ums Herz wurde. Als sie aufblickte, konnte sie durch Michaels Augen in sein Inneres schauen: Er schenkte ihr viel mehr als nur dieses Schmuckstück.
    Das Abendessen fand nie statt. Das Steak verbrannte.
    Michael nahm KC in die Arme. Es war wie sein erster Kuss, wie sein erstes Mal. Es war lange her, doch verlor er sich in der Intimität ihrer Umarmung. Beide konzentrierten sich nur auf den anderen, vergaßen Zeit und Raum. Die Leidenschaft riss sie davon.
    Als sie später nebeneinanderlagen, genossen sie die Stille und das Wissen, dass ihnen kein Leid geschehen konnte, solange sie einander in den Armen hielten.
    Am nächsten Tag kam der Anruf: KC musste abreisen. Eine Geschäftsreise nach Paris stand an. In einer Woche würde sie zurück sein.
    Der Abschied ging zügig vonstatten, als wären sie bereits geübt darin. Als Michael beobachtete, wie KC von seiner Auffahrt fuhr, lächelte er glücklich.
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