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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis
Autoren: Richard Doetsch
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schnell wie möglich einbrachen, den Brief an sich brachten und schleunigst wieder verschwanden, um dann pünktlich um 21.00 Uhr in der Amsterdamer Altstadt unweit der Prinzengracht im Restaurant Damsteeg ein spätes Abendessen einzunehmen. Doch die besten Pläne von Mäusen und Menschen …
    Jetzt, da er in Chiron in seiner Zelle saß, bereute Simon zutiefst, was er getan hatte. Nicht den Diebstahl oder eines der anderen Vergehen, die er sich im Lauf seines Lebens hatte zuschulden kommen lassen. Nein, er bereute nur, einen engen Freund in diese Sache mit hineingezogen zu haben, sodass dieser Freund jetzt in der Zelle nebenan saß. Es erfüllte ihn mit Bitterkeit, diesen Mann in diesem gottverlassenen Land an die Schwelle des Todes geführt zu haben – einen Mann, der ihm vertraute.
    Denn morgen früh, wenn der neue Tag anbrach, würde man sie beide wecken und in den Raum nebenan führen. Dort würde der Henker auf sie warten, den Kopf unter einer mittelalterlich anmutenden Kapuze verborgen. Er würde sie über einen Tisch aus Zypressenholz legen, ihnen die Hände auf dem Rücken fesseln, ihre mit dem Gesicht nach unten liegenden Körper auf einem Holzblock festgurten und dann ihre Köpfe festschnallen.
    Dann würde der Raum sich mit Zuschauern füllen. Die Wachen würden die anderen Gefangenen holen, damit diese sich das Spektakel zur Abschreckung anschauten.
    Zum Schluss würde der Gefängnisdirektor den Raum betreten, in der Mitte Platz nehmen und den Todgeweihten zornig in die Augen und prüfend in die Seelen blicken. Irgendwann – mit einem angedeuteten Lächeln, da er in Gedanken bereits an seinem Frühstückstisch saß – würde er das Zeichen geben.
    Und dann würde der Henker den Zeremoniensäbel ergreifen und den Delinquenten die Köpfe vom Rumpf trennen.
    Drei Tage zuvor
    Michael St. Pierre betrat das Wohnzimmer seines Bungalows in Byram Hills, eine Autostunde von New York City entfernt. Er warf seine Post auf das Ledersofa und ließ aus einer langen Pappröhre mehrere Entwürfe auf seinen Pooltisch fallen. Seine drei Berner Sennenhunde Hawk, Raven und Bear waren ihm gefolgt und ließen sich zu seinen Füßen nieder, als er die Schaltbilder der Alarmanlage auseinanderrollte und auf dem grünen Filz glattstrich. Vier Wochen hatte er damit zugebracht, die stecknadelkopfgroßen Kameras und die verschlüsselte Videoüberwachungs- und Alarmanlage zu konzipieren, die für ein Kunstlager bestimmt waren, das dem Milliardär Shamus Hennicot gehörte.
    Michael konnte gut nachvollziehen, dass Hennicot seine Sammlung an Monets, Rockwells und van Goghs schützen wollte. Und indem er all seine Erfahrung und sein Wissen in das Projekt hatte einfließen lassen, hatte Michael ein Sicherheitssystem geschaffen, das es im Hinblick auf seine technische Unüberwindbarkeit mit den Systemen der CIA aufnehmen konnte.
    Michael drehte sich um und blickte auf das große Gemälde, das über dem steinernen Kamin hing. Es zeigte einen majestätischen Engel mit weit ausgebreiteten Flügeln, der einem leuchtenden Baum entstieg – ein Gemälde, das mit seinem realistischen Pinselstrich und seinen warmen Farben das Zeitalter der Renaissance spiegelte. Es war ein Govier aus dem späten sechzehnten Jahrhundert, ein Geschenk von einer engen Freundin, die ihn gebeten hatte, das zweite Gemälde dieses Malers zu stehlen und zu vernichten. Diese Bitte hatte schwer auf Michael gelastet, denn sie war der letzte Wunsch dieser Frau gewesen – eine ungewöhnliche Bitte, die er erfüllt hatte.
    Michael war ein Dieb gewesen, der gelobt hatte, der Welt des Verbrechens den Rücken zu kehren. Er hatte dieses Versprechen seiner Frau und sich selbst gegeben. Dann aber hatten äußere Umstände ihn rückfällig werden lassen. Seit damals hatte er jedoch nur wenige Dinger gedreht – vor allem, um sich Geld zu beschaffen, das er für die Krebsbehandlung seiner Frau benötigte. Außerdem hatte er mehrmals seinem Freund Simon geholfen. Jede dieser Taten war uneigennützig gewesen. Michael selbst hatte sich nicht bereichert. Was er getan hatte, war zum Wohle anderer geschehen – in Situationen, in denen er moralische Kompromisse hatte schließen müssen.
    Aber das alles war nun endgültig Vergangenheit. Obwohl er immer noch ein Meisterdieb war, hatte Michael seine Talente in Rente geschickt. Er hatte sich ein legitimes Geschäft aufgebaut, ein Sicherheitsunternehmen mit einem wachsenden Kundenstamm. Seine Kunden wussten, dass Michael vor ein paar Jahren zu
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