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Der Diamant (German Edition)

Der Diamant (German Edition)

Titel: Der Diamant (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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näherte, unter dem die Gräfin von Soulanges blaß und furchtsam saß, nur in den Augen Leben verratend, trat ihr Gatte mit leidenschaftlich glühenden Augen in die Tür des Saales. Die alte Herzogin, die alles bemerkte, stürzte auf ihren Neffen zu, bat ihn um seinen Arm und um ihren Wagen, um nach Hause zu fahren. Sie gab vor, sich tödlich zu langweilen, und hoffte, auf diese Weise einen peinlichen Auftritt zu verhindern. Ehe sie den Saal verließ, machte sie ihrer Nichte ein besonderes Zeichen des Einverständnisses und wies auf den Kavalier, der gerade im Begriff war, sie anzusprechen. Dieses Zeichen schien zu sagen: »Da ist er, räche dich!« Frau von Vaudremont hatte den Blick zwischen Tante und Nichte aufgefangen; ein Licht ging plötzlich in ihrer Seele auf. Sie fürchtete, von dieser alten Dame, die so klug war und in Ränken so bewandert, genarrt worden zu sein.
    ›Diese durchtriebene Herzogin‹, sagte sie sich, ›hat sich vielleicht ein Vergnügen daraus gemacht, mir Moral zu predigen, während sie mir auf ihre Weise einen bösen Streich spielt.‹
    Bei diesem Gedanken war Frau von Vaudremonts Eigenliebe vielleicht noch mehr beteiligt als ihre Neugier, das Durcheinander dieser Intrige entwirrt zu sehen. Die innere Erregung, die sich ihrer bemächtigt hatte, ließ sie fast die Fassung verlieren. Der Obrist, der sich die Befangenheit in Reden und Benehmen der Gräfin zu seinen Gunsten auslegte, wurde nur noch eifriger und dringlicher. Die alten blasierten Diplomaten, die sich damit unterhielten, das Spiel der Physiognomien zu studieren, hatten noch nie so viele Intrigen zu beobachten und zu enträtseln gehabt. Die Leidenschaft, die diese beiden Paare erregte, vervielfältigte sich bei jedem Schritt in diesen Sälen, indem sie sich auf den verschiedenen Gesichtern in den verschiedensten Spielarten zeigte. Das Schauspiel so vieler lebhafter Leidenschaft, all diese Liebeskämpfe, soviel süße Vergeltung und grausame Gunst, all diese flammenden Blicke, all dieses brennende Leben, das um sie her flutete, ließ sie ihre eigene Unfähigkeit nur um so lebhafter empfinden.
    Endlich hatte der Baron neben der Gräfin von Soulanges Platz nehmen können. Seine Augen glitten verstohlen über einen taufrischen Hals, der wie nach Wiesenblumen duftete. Er bewunderte in der Nähe die Schönheiten, die er schon von ferne angestaunt hatte. Er konnte sich an dem Anblick eines schön beschuhten Fußes freuen, konnte eine schlanke, anmutige Gestalt mit den Augen messen. In jener Zeit trugen die Frauen ihre Kleider direkt unter der Brust gegürtet, frei nach den griechischen Statuen; eine erbarmungslose Mode für Frauen, deren Wuchs nicht ganz einwandfrei war. Während Martial einen verstohlenen Blick auf diesen Busen warf, war er von der Vollkommenheit der Formen der Gräfin ganz hingerissen.
    »Gnädige Frau, Sie haben heute abend nicht ein einziges Mal getanzt!« sagte er mit süßer und schmeichlerischer Stimme; »ich nehme an, daß es nicht die Schuld der Tänzer ist?«
    »Ich besuche nie Gesellschaften und bin unbekannt hier,« antwortete Frau von Soulanges kühl. Sie hatte den Blick ihrer Tante, der sie aufforderte, mit dem Baron schönzutun, nicht verstanden. Da ließ Martial den schönen Diamanten, der seine linke Hand schmückte, absichtlich spielen. Das Feuer, das von dem Stein ausging, schien ein plötzliches Licht in der Seele der jungen Gräfin zu entzünden; sie errötete und sah den Baron mit einem unergründlichen Ausdruck an.
    »Tanzen Sie gern?« fragte der Provenzale und versuchte, die Unterhaltung wieder anzuknüpfen. »O ja, sehr gern!«
    Bei dieser unerwarteten Antwort trafen sich ihre Blicke. Der junge Mann, überrascht durch den energischen Ton, der eine vage Hoffnung in seinem Herzen erweckte, sah sofort fragend in die Augen der jungen Frau.
    »Gnädige Frau, ist es nicht allzu kühn, wenn ich Sie bitte, beim nächsten Tanz Ihr Partner sein zu dürfen?«
    Eine kindliche Verwirrung ließ die bleichen Wangen der Gräfin erröten.
    »Aber ich habe schon einen andern Herrn, einen General, abgewiesen.«
    »War es dieser große Kavallerie-Obrist, den Sie dort unten sehen?«
    »Ja, eben derselbe.«
    »Oh, das ist mein Freund, befürchten Sie nichts! Gewähren Sie mir die Gunst, auf die ich zu hoffen wage?«
    »Ja, gern!«
    Diese Stimme rief eine so neue und tiefe Erregung in ihm hervor, daß sein blasiertes Herz ganz erschüttert wurde. Ihn überkam eine kindliche Scheu, er verlor seine Sicherheit, sein
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