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Der Diamant (German Edition)

Der Diamant (German Edition)

Titel: Der Diamant (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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wandte sich der Baron de la Roche-Hugon, nachdem er alle alten Damen gefragt hatte, ohne den Namen der blauen Unbekannten zu erfahren, in voller Verzweiflung an die Gräfin von Gondreville, von der er jedoch eine wenig befriedigende Antwort erhielt:
    »Diese Dame wurde mir von der ehemaligen Herzogin von Lansac vorgestellt.«
    Als der Finanzsekretär sich ganz durch Zufall dem Lehnstuhl der alten Dame zuwandte, überraschte ihn der Blick der Verständigung, den sie der blauen Dame zuwarf, und obgleich er seit einiger Zeit ziemlich schlecht mit der ehemaligen Herzogin stand, entschloß er sich doch, sie anzusprechen. Sie sah den Baron eifrig um ihren Stuhl herumschleichen, lachte mit hämischem Spott und betrachtete dann Frau von Vaudremont mit einem Ausdruck, der wiederum den Obristen Montcornet lachen machte.
    ›Wenn die alte Hexe ein freundliches Gesicht macht, wird sie mir sicherlich einen schlechten Streich spielen,‹ dachte der Baron. »Gnädige Frau,« wandte er sich an sie, »man hat mir gesagt, Sie bewachten einen kostbaren Schatz.«
    »Halten Sie mich für einen Drachen?« fragte die alte Dame. »Doch von wem sprechen Sie?« fügte sie dann mit süßer Stimme hinzu, die Martial wieder Hoffnung machte.
    »Von jener kleinen unbekannten Dame, die die Eifersucht all dieser Koketten dort hinten hin verbannt hat. Sie kennen sicher ihre Familie.«
    »Ja,« sagte die Herzogin, »doch was wollen Sie von einer Erbin aus der Provinz, die seit kurzer Zeit verheiratet ist; ein Mädchen aus guter Familie, die man hier nicht kennt, sie geht nirgends hin.«
    »Warum tanzt sie nicht? Sie ist so schön! – Wollen wir Frieden miteinander schließen? Wenn Sie die Güte haben, mich über alles zu unterrichten, was mich interessiert, so gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß ein Gesuch um Wiedererstattung der Wälder von Navarreins beim Kaiser aufs wärmste unterstützt werden soll.«
    Die jüngere Linie des Hauses Navarreins (mit dem Wappen von Lansac: Balken mit Silberecken in blauem Felde, von sechs ebenfalls silbernen Fahnenstangen eingerahmt), und die Liaison der alten Dame mit Ludwig XV. hatten ihr den Titel einer Herzogin eingebracht; und da die Navarreins noch nicht heimgekehrt waren, schlug ihr der Finanzsekretär ganz einfach eine Gemeinheit vor, als er sie mit der Rückforderung eines Besitztums köderte, das der älteren Linie gehörte.
    »Mein Herr,« antwortete die alte Dame mit trügerischem Ernst, »bringen Sie mir Frau von Vaudremont. Ich verspreche Ihnen, ihr das Geheimnis zu enthüllen, das unsere Unbekannte so interessant macht. Sehen Sie nur, alle Herren auf dem Ball hier sind genau ebenso neugierig wie Sie selbst. Unwillkürlich blicken alle Augen nach dem Kandelaber, an dem sich mein Schützling ganz bescheiden hingesetzt hat; sie sammelt all die Huldigungen ein, um die man sie hat bringen wollen. Glücklich der, den sie sich zum Tänzer wählen wird!«
    Hier hielt sie inne, heftete ihre Blicke auf die Gräfin von Vaudremont und gab ihr damit zu verstehen: »Wir sprechen von Ihnen!« Dann fuhr sie fort: »Ich denke mir, Sie hören den Namen der Unbekannten lieber aus dem Munde Ihrer schönen Gräfin als aus dem meinen.«
    Die Haltung der Herzogin war so herausfordernd, daß sich Frau von Vaudremont erhob, zu ihr begab und auf dem Stuhl Platz nahm, den Martial ihr anbot. Ohne den Baron zu beachten, sagte sie lachend zu der alten Dame:
    »Ich habe erraten, gnädige Frau, daß von mir die Rede war; aber ich muß meine Dummheit schon eingestehen, ich weiß nicht, ob Sie gut oder schlecht von mir sprechen.«
    Mit ihrer dürren runzligen Hand drückte Frau von Lansac die hübsche Hand der jungen Frau und sagte leise in mitleidigem Ton zu ihr:
    »Arme Kleine.«
    Die beiden Frauen blickten einander an. Frau von Vaudremont begriff, daß Martial überflüssig war, und verabschiedete ihn, indem sie ihm in gebieterischem Tone sagte:
    »Lassen Sie uns allein!«
    Der junge Sekretär, wenig glücklich darüber, die Gräfin in dem Banne der gefährlichen Sibylle zu sehen, die sie zu sich herangezogen halte, warf ihr einen jener Blicke zu, die über ein verblendetes Herz Gewalt haben, die jedoch lächerlich wirken, sobald eine Frau den Geliebten mit kritischen Augen zu betrachten beginnt.
    »Sind Sie so eingebildet, daß Sie sogar den Kaiser kopieren?« fragte Frau von Vaudremont und wandte ihren Kopf dreiviertel zur Seite, um den Finanzsekretär mit höhnischer Miene anzusehen.
    Martial besaß zu viel gesellschaftliche
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