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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod
Autoren: Meša Selimović
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will meinen retten. Bei uns beiden ist das der stärkste Wunsch,
nur daß meiner anständig, deiner schmutzig ist. Aber mag es so sein, es geht
mich nichts an. Ich weiß nichts von euch, aber es kommt mir vor, als sähe ich
deutlich, welche Überlegenheit du über deinen blutlosen Kadi haben kannst, der
deine Kraft und deinen Reichtum achtet, weil er weder das eine noch das andere
hat. Eine einzige schmähliche Nacht des Kadis und eine einzige entschiedene
Forderung von dir könnten das Schicksal meines Bruders verändern. So wenig
setzen wir ein, und so viel gewinnen wir.
    Beinahe hätte ich ihr offen gesagt:
In Ordnung, wir haben keinen Anlaß mehr, unsere Absichten zu verbergen. Ich
gebe dir Hasan, gib du mir meinen Bruder. Dir liegt nichts an deinem, ich würde
für meinen noch viel mehr tun.
    Natürlich sagte ich es nicht. Meine
Offenheit hätte sie gekränkt – bei anderen liebt man das nicht.
    So sagte ich, auf ihre Bitte
eingehend, daß Hasan in der Tat bisweilen in die Tekieh komme, daß er Hafiz
Muhameds Freund sei (was der Wahrheit entsprach), daß er mein Freund sei (was
nicht der Wahrheit entsprach) und daß wir mit ihm sprechen würden, damit er das
tue, was man von ihm verlangte, denn ihr schwesterlicher Kummer und ihre Sorge
um das Ansehen der Familie habe mich gerührt. Schließlich hätten wir alle Schaden,
wenn sie Schaden hätten, und wir müßten dafür sorgen, daß kein Makel auf das
falle, was höchst wertvoll zwischen uns sei, wir müßten der Schadenfreude und
dem Spott vorbeugen, die sich erheben, wenn den Angesehenen ein Unglück
widerfährt. Zur Hilfe verpflichte mich auch die Dankbarkeit gegenüber dem
Wohltäter der Tekieh (absichtlich erwähnte ich ihren Vater, da die Tochter es
nicht tat). Und nicht nur ihre Absicht, sondern auch ihren Einfall hielte ich
für gut, denn alles andere sei unsicher. Schwer sei es, ohne gewichtige Gründe
den einzigen Sohn zu enterben.
    „Gewichtige Gründe sind
vorhanden."
    „Ich spreche von dem, was das
Gericht sagen würde. Hasan handelt mit Vieh, das stimmt, aber das ist kein
unehrenhaftes Geschäft. Er gibt Geld aus, aber das, was er verdient. Die Hälfte
des Besitzes hat er seiner früheren Frau gegeben, nicht verkauft. Schwerlich
gibt es überhaupt Gründe, schon gar keine gewichtigen."
    Ich fühlte mich sicher, sicherer als
sie, in mir selbst hatte ich meine Stellung ganz verändert. Wir waren nicht
mehr das, was wir anfangs gewesen waren: sie die überlegene Frau mit den
schönen Augen, ich der bescheidene Derwisch, der ewige Bauer; nein, wir waren
zwei Gleichgestellte, die sich über Geschäfte unterhielten. Hier war ich stärker
als sie. Solange ich ihren Worten zustimmte, sah sie mich huldvoll an, war es
für sie eine Sache, die sich von selbst verstand; als ich aber etwas sagte, was
ihr nicht gefallen konnte, begann der Bogen ihrer Brauen sich zu runzeln, und
ihr Blick verhärtete sich. Mein Widerstand schien ihr dumm und störrisch.
    „Der Vater wird ihn auf jeden Fall
enterben", sprach sie drohend.
    Es kümmerte mich wenig, ob der Vater
ihn enterben würde oder nicht. Auch ihr Zorn beunruhigte mich kaum. Ich wollte
nur ihre Sicherheit zerstören, um das zu erreichen, was mir am Herzen lag.
    „Er kann ihn enterben",
erwiderte ich ruhig. „Aber der Vater ist alt und schon lange krank. Hasan kann
das Testament anfechten und auf seine Aufhebung klagen; er wird beweisen, der
Vater sei schwach und hilflos gewesen und habe seine Entscheidung nicht bei
vollem Bewußtsein getroffen oder jemand habe ihn dazu überredet."
    „Wer könnte ihn überreden?"
    „Ich spreche von der möglichen
Klage. Ganz gleich, wer. Ich fürchte, das Urteil würde zu Hasans Gunsten
ausfallen. Zumal man das Verfahren Ajni Effendis wegen nicht hier abwickeln
würde. Und wir dürfen nicht vergessen, daß auch Hasan Verbindungen hat."
    Sie sah mich schweigend an. Lange
schon hatte sie den Gesichtsschleier fallen lassen, schon als man die Kerzen
gebracht und sie ihre häßliche Geschichte begonnen hatte. In dem schönen, wie
aus Mondlicht gegossenen Antlitz brannte in den Augenwinkeln der Widerschein
der Kerzenflammen – zuckend und unruhig. Das Zucken kam nicht von ihr, aber
ich deutete es so. Ich war ein bißchen boshaft. Ich wußte, ich hatte sie beunruhigt,
sie hatte nicht geglaubt, daß ich ihrer Absicht, ihrem Gedanken solche
Schwierigkeiten aufbürden würde, obgleich sie gewiß von manchen gewußt hatte.
    Sie blickte mich unverwandt an, als
trachtete sie danach,
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