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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod
Autoren: Meša Selimović
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sie mochte glauben, es
geschehe ihrer Worte wegen, und so wahrten wir beide vollkommen die Form.
    Ich hatte sie freilich schon zu
Beginn unserer Begegnung angesehen, sie hatte mich überrascht mit der
Schönheit, dem Ebenmaß des Gesichts, das durch das feine Gewebe blickte, und
mit dem verhaltenen Glanz der großen Augen, die jähe Glut und tiefe Schatten in
ihr offenbarten. Aber das war ein flüchtiger Blick gewesen, ein aufgeregter,
unsicherer Blick, voll Erwartung dessen, was sie sagen würde, und er hatte mehr
von mir als von ihr verraten. Als sie aber den Bann abgeworfen, als ich mich in
der Sicherheit vorgeblichen Zuhörens verschanzt hatte, da reizte es mich, sie
wahrhaftig mit den Augen, nicht bloß mit bangem Erwarten zu sehen.
    Das war nicht die gewöhnliche Neugier,
jene ungewöhnlichen Geschöpfe, die so ganz außerhalb unserer Welt stehen, näher
zu betrachten – eine Neugier, die wir selten befriedigen oder die wir, aus
begreiflichen Gründen, bei Begegnungen nicht einmal spüren. Unverhofft fand
ich mich in der Lage, sie zu mustern, gleichsam aus dem Verborgenen, ohne das
Verhalten im geringsten zu verändern, in ihren Augen der Derwisch bleibend, der
ihren Willen und ihr Gebot achtet. Im stillen fühlte ich mich ein wenig
überlegen, weil ich wußte, was sie dachte, und weil ich sie ungehindert
betrachtete, während sie mich gleichsam nicht sah. Mich nicht sah und nichts
von mir wußte. Das ist ein Vorzug, den sich der Mensch immer wünscht, der aber
selten Wirklichkeit wird. Es ist sein alter Wunsch, unsichtbar zu bleiben.
Dabei tat ich nichts Häßliches, ich sah sie ruhig und gesammelt an, und ich
wußte, daß sich in mir kein einziger Gedanke regen würde, dessen ich mich
später schämen müßte.
    Zuerst fielen mir ihre Hände auf.
Solange sie mit gezwungener, festgelegter Geste, die nicht viel Möglichkeiten
bot, den Schleier hielt, waren die Hände abgesondert und ausdruckslos, sie
machten sich kaum bemerkbar. Als die Frau aber den Schleier fallen ließ und
die Hände ineinander-legte, da wurden sie auf einmal lebendig, wurden eine
selbständige Einheit. Sie rückten nicht unvermittelt ins Feld, bewegten sich
ohne Hast, aber in ihrer verhaltenen Ruhe oder in dem langsamen Schweifen lag
so viel Kraft und seltsame Bedeutung, daß sie unaufhörlich meine Aufmerksamkeit
fesselten. Es sah aus, als wollten sie jeden Augenblick etwas Wichtiges, etwas
Entscheidendes tun, und so schufen sie eine ständige, aufregende Spannung des
Erwartens. Sie ruhten im Schoß, zusammengefügt, einander umfassend, als
drückten sie einander in stiller Sehnsucht, oder als hüteten sie einander, daß
sie nicht verlorengingen, daß sie nicht etwas Unvernünftiges täten, scheinbar
unbeweglich, doch in ständigem, kaum wahrnehmbar feinem Auf und Ab, es war wie
ein besorgtes Beben oder ein leichtes Zucken von überschüssiger Kraft. Dann,
wie auf Verabredung, lösten sie sich gemessen voneinander, nur einen Augenblick
schwebten sie, als suchten sie einander, danach fielen sie sanft, wie verliebte
Vögel, auf das atlasbedeckte Knie, wieder umschlungen, unzertrennlich, glücklich
in ihrem zusammengefügten Schweigen. So währte das lange, dann rührte sich die
eine Hand, mit Fingern, die sich langsam und leidenschaftlich krampften, begann
sie, über den Atlas, auf dem sie geruht hatte, zu streichen und über die Haut
unter dem Atlas, während die andere auf ihr lag, angeschmiegt, still, das
unhörbare Knistern des glatten Seidengewebes über dem runden marmornen Knie
belauschend. Nur von Zeit zu Zeit lösten sie sich voneinander, und die eine
ging selbständig vor, damit sie leichthin den Schmuck am Ende des Ohrs berühre,
das schamhaft im schwarzen, rötlich schimmernden Haar versteckt war, oder sie
hielt in der Luft inne, um auf ein Wort zu lauschen, zog sich dann zurück, ohne
viel Interesse am Gespräch, der anderen entgegen, die schwieg, gekränkt über
die kleine Unachtsamkeit.
    Ich folgte ihnen, überrascht von der
Ausdruckskraft ihres verselbständigten Lebens; sie waren wie zwei kleine
Geschöpfe, die ihre eigene Lebensbahn, ihr Verlangen und ihre Liebe, ihre
Eifersucht, ihr Sehnen, ihre Unkeuschheit haben; so war ich hingerissen und im
nächsten Augenblick erschreckt von dem Gedanken an die Verschlossenheit und
Sinnlosigkeit dieses kleinen Lebens, das jedem anderen glich; doch das war ein
rascher und harmloser Gedanke, flüchtiger Anklang eines anderen Lebens in mir,
das ich nicht wecken wollte.
    Auch wegen ihrer
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