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Der David ist dem Goliath sein Tod

Der David ist dem Goliath sein Tod

Titel: Der David ist dem Goliath sein Tod
Autoren: Torsten Sträter
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Dortmund, Nordrhein-Westfalen. Ich bekam eine Gänsehaut wie eine Ritterrüstung, stand auf, applaudierte, schrie irgendetwas, und es geschah: Sinatra persönlich sah mich an. Er zog eine Augenbraue hoch, die »That’s right, boy«, aber auch »Hinsetzen, Provinzblödmann« bedeuten mochte, aber ich konnte nicht, auch dann nicht, als sich meine Uhr in einem Nest aus Haar und Haarspray verfing, was die Dame links von mir heftig zum Nicken brachte.
    Â»FRANK!«, brüllte ich.
    Er lächelte.
    Ich bellte irgendetwas und riss meinen Arm los. Mein Uhrenarmband sah neuerdings so aus, als trüge es ebenfalls ein Toupet.
    Die Frau neben mir kreischte und hielt sich den Kopf, und sie hatte natürlich Recht: was für ein Konzert.
    Es wurde ein Triumph, den zu Papier zu bringen mangels Wortschatzbauteilen unmöglich ist; nur so viel: Es war, als hätte ein egozentrisches Regime mit Swing gefüllte Marschflugkörper auf die Teilnehmer einer Butterfahrt abgefeuert. Ich war neben Sinatra der Einzige, der was unternahm, um den Stimmungspegel zu halten.
    00 Uhr.
    Â»Ich bin wieder jung«, erklärte ich meiner Freundin, als ich nach Hause kam. »Du kannst jetzt gerne wieder Coco Jambo oder Olé Olé oder was du sonst so hörst laufen lassen. Ich bin gesegnet.«
    Â»Bist du bescheuert?«, fragte sie.
    Â»Sinatra hat mich gesehen. Ich habe Sinatra gesehen.«
    Ich unterschlug die kleine Geschichte mit den Saalordnern, die mich zurück in den Sitz gepresst hatten, ebenso wie eine Bemerkung über meinen tränenreichen Zusammenbruch, als Sinatra am Schluss sichtlich erleichtert My Way intoniert hatte. Sinatra gab keine Zugabe; ich auch nicht.
    Â»Geh jetzt ins Bett«, sagte sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
    Â»Ich kann jetzt nicht«, erwiderte ich. Ich war noch immer aufgeregt. Außerdem schmerzten meine Schultern.
    Â»Ah ja«, sagte sie. »Alte Leute brauchen ja nicht so viel Schlaf. Du riechst übrigens wie meine Uroma.«
    Das ließ mich kalt. Völlig.
    Ich hatte Sinatra live erlebt. Auf der To-do-Liste meines Lebens war ein Punkt abgehakt und die Position »Mach dich vor ein paar Tausend Leuten zum Vollidioten« konnte ich gleich mit streichen.
    So saß ich des Nachts in unserer Küche; Sinatra selbst mochte zeitgleich an irgendeiner Bar sitzen, während er mit den Fingern nach einem Radiergummi schnippte, um Dortmund von der Landkarte zu tilgen. Ich schnappte mir etwas Briefpapier meiner Freundin, malte der Diddl-Maus darauf eine Augenklappe und begann meine To-do-Liste auf den neuesten Stand zu bringen.
    Punkt 1: Nutella, bis Elvis wieder aufersteht.

Mein erster Kinobesuch
    Bei meinem ersten Kinobesuch war ich ungefähr sechs oder sieben. Bei dem Film handelte es sich um Die Schatzinsel .
    Ich durfte mir ein Eis aussuchen – und nahm einen Braunen Bär , jenes Eis, auf dem ein Indianer kurz davor ist, von seinem Klepper zu fallen, während er den Bogen spannt; im Inneren des Eis am Stiel befand sich ein Karamellkern, im Inneren des Indianers vermutlich das Übliche. Dieses Eis war und ist Nostalgie in Reinkultur.
    Heutzutage gibt es die bizarrsten Eissorten – man mag eigentlich gar nicht darüber sprechen.
    Ich lasse mich jetzt nicht dazu herab, auch nur einen Ton über den Flutschfinger von mir zu geben. Ganz zu schweigen von Ed von Schleck , was ja wohl wirklich klingt wie der Internet-Tarnname eines Päderasten. Kein Wort auch über diese Leistungselite-Edition von Magnum mit Dark Ecuador Chocolate , Premium Coffee Slush und Mixed Chili Temptation .
    Alles im grünen Bereich, solange da nicht mal ein Magnum mit Frikandel-Geschmack kommt.
    Aber ein tiefbraunes Speiseeis allen Ernstes wie folgt zu nennen, erscheint mir nicht sonderlich geglückt: NOGGER!
    Braunes Eis. NOGGER.
    Bin ich der Einzige, der da den Film Training Day vor Augen hat, mit einem korrupten Denzel Washington, der ein Eis am Stiel ansieht und sagt: »Du bist mein Nogger. Du bist … mein NOGGER! DAS ist mein NOGGER.«
    Ich schweife ab.
    Brauner Bär.
    Mein Weltbild veränderte sich völlig. Brauner Bär. Milchspeiseeis, Karamellkern, auf der Packung ein optisch reizarmer Indianer – damals war es nicht nötig, Eis nach Superhelden oder Pokémon, Digimon oder von mir aus auch Ursela Monn zu benennen. Damit Kinder heute ein Eis kaufen, muss das Ding schon neunfarbig sein, blinken und
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