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Der David ist dem Goliath sein Tod

Der David ist dem Goliath sein Tod

Titel: Der David ist dem Goliath sein Tod
Autoren: Torsten Sträter
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Plakaten von seiner besten Seite: Graues Toupet über lächelnden Jacketkronen im Wert eines Hubschraubers, darunter verschränkte Arme, die in den Ärmeln eines Smokings steckten, der so gut saß, als handele es sich bei dem Kleidungsstück um eine Airbrusharbeit. Frank Sinatra, jenseits jedes menschlichen Rentenalters, sah nicht eben aus wie ein Mann, der in ausgeleierten Shorts vor einem Großbildfernseher mit Grünstich hockte, der guten alten Zeit nachtrauerte und von seinem Diät-Martini aufstieß. Auf diesem Poster wirkte er wie eine Mischung aus einem durch seine Auferstehung erheiterten Tutenchamun, dem Sechs-Millionen-Dollar-Mann und Gott, wenn der Himmel ein Puff gewesen wäre. Das Poster war riesig, und Sinatra wirkte darauf ebenso gigantisch. Man kam nicht umhin, ihn sich als vier Meter große Lichtgestalt vorzustellen, deren Schritte in Lackschuhen von Gucci den Bühnenboden erbeben lassen würden. Kurz gesagt: Mit seinen verschränkten Armen sah er aus wie ein Türsteher und ich hörte förmlich sein »Vergiss die popeligen 365 Mark – mit der Hose kommst du hier nicht rein, Sportsfreund«. Ich würde in der ersten Reihe sitzen. Jeans waren definitiv gestorben.
    Meine Freundin mied mich, während ich den Kleiderschrank durchwühlte. Der Schrank, vier Meter breit, war in zwei Bereiche abgeteilt: Die drei Meter sechzig der linken Seite beherbergten den Fundus der Königin von Saba, für die meine Freundin sich offenbar hielt; sie bevorzugte witzlose Jeans von Esprit, von der eine der anderen aufs Haar glich, und Kostüme mit wuchtigen Schulterpolstern. Sie hatte ein Püppchengesicht, aber wenn sie im Kostüm einen Schatten warf, sah der aus, als gehöre er zu George Foreman.
    Die restlichen vierzig Zentimeter Schrank gehörten mir. Es war zum Haareraufen: Alles, was im Dunkel des Schranks schwarz wirkte, erwies sich bei Tageslicht als dunkelgrau oder ehemals weiß bzw. ecru, ein gebrochenes Beige, in den Neunzigern schwer in Mode, für mich aber seit jeher die Geschlechtskrankheit unter den Farben.
    Letztlich fand ich doch noch meinen guten Cordanzug. Er hatte im Laden schwarz gewirkt, auf der Straße graublau und in Neonlicht grünlich, aber da ich damit nicht in den Kernspintomografen wollte, würde es wohl gehen.
    Ich stand zu Sinatra, ich stand dazu, dieses Konzert der Konzerte zu besuchen, und schon der Gedanke an die ersten Takte des Orchesters beschleunigte meinen Puls. Trotzdem lag mir daran, meiner Freundin in dieser heißen Phase vor dem Event nicht vor die Flinte zu laufen: Ein Blick aus ihren Augen gab mir neuerdings das Gefühl, im Zeitraffer zu altern. Wir prallten in der Küche aufeinander.
    Â»Na«, sagte ich.
    Â»Na.«
    Schweigen.
    Â»Ich bin dann heute Abend nicht da.«
    Â»Ich bin keineswegs so dement wie du. Hab ich behalten.«
    Â»Ich bin nicht dement«, erwiderte ich. »Ich gehe auf ein Sinatra-Konzert.«
    Â»Das ist vermutlich erst der Anfang«, sagte sie düster, den Blick auf ihre Fingernägel geheftet. Sie unterzog sich mindestens einmal monatlich einer komplexen Behandlung, in deren Verlauf ihre Nägel mit Strasssteinen, Palmen und ganzen Planetensystemen bemalt wurden. »Erst gehst du zu diesem Sinatra, dann beginnst du Hosenträger zu kaufen. Als Nächstes trägst du aus Bequemlichkeit nur noch Slipper von BAMA.«
    Â»Der Ersatzkasse?«, fragte ich.
    Â»Siehst du, geht schon los. Du mutierst. Ich kann dich fast altern hören.«
    Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Es reicht. Denkst du, du bist resistent gegen das Altern? Ich bin gerade mal sechs Jahre älter als du, verflucht. Ich trage Jeans. Mein Wortschatz ist über jeden Verdacht erhaben. Ich sage mitunter »verdammte Scheiße« und nicht »Oh weh« oder »Scheibenkleister«, wie beispielsweise dein Vater, der nebenbei bemerkt in der Tat wirklich alt ist, das aber durch Schallplatten von Pink Floyd übertünchen will. Dark Side of the Moon , was? Dein Vater ist auf der dunklen Seite des Mondes gut aufgehoben, und er genießt es.«
    Â»Lass meinen Vater aus dem Spiel.«
    Â»Lass du Sinatra aus dem Spiel. Wenn ich demnächst Bücher von Stephen Hawking lese – beantragst du dann Pflegestufe 3 für mich? Was sind das überhaupt für Gespräche? Eine Beziehung wie unsere sollte von Liebe und Zutrauen geprägt sein – sie
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