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Der David ist dem Goliath sein Tod

Der David ist dem Goliath sein Tod

Titel: Der David ist dem Goliath sein Tod
Autoren: Torsten Sträter
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sollte ein Manifest der Zärtlichkeit sein, eine marmorne Säule des gegenseitigen Respekts, du blöde Kuh.«
    Sie verschränkte die Arme über ihrer pastellfarbenen Benetton-Strickjacke.
    Â»Wenn du vierzig bist, wirst du älter sein als jeder andere Vierzigjährige.«
    Â»Unsinn. Wenn ich vierzig bin, schreiben wir das Jahr 2006. Dann werden sie einem in der Fußgängerzone binnen zehn Minuten Haare implantieren können, während man mit seiner Armbanduhr seinem Haushaltsandroiden mitteilt, was man zum Abendessen wünscht.« Ich lächelte überlegen. »Wie dem auch sei«, schloss ich den Beweisvortrag, »ich muss mich nun fertigmachen.«
    Â»Genau«, sagte sie. »Du machst dich jetzt fertig. Wir haben 13 Uhr 45. Das Konzert beginnt um acht, oder? Setz dich doch einfach so lange mit deinem braunen Cordanzug auf die Couch und warte, bis es dunkel wird. Findest du nicht, das klingt nach Seniorenheim?«
    Meine Erwiderung enthielt einige Worte, die ihr Vater nie benutzt hätte. Und was zum Teufel meinte sie mit braun?
    20 Uhr.
    Ich hätte vom Management der Westfalenhalle erwartet, dass alles in bunte Lichter getaucht ist. Mindestens war ich auf einen roten Teppich oder einfach nur einen Teppich in irgendeiner Farbe gefasst gewesen. Fehlanzeige. Immerhin hatten sie gestreut. Als der Parkplatzwächter mir mitteilte, ich zitiere: »Wenn du deine Omma abholen willst, bist du zu früh dran, Bursche – aber Parken kostet trotzdem einen Fünfer«, ahnte ich bereits, was auf mich zukam.
    Die Schlange vor der Kasse war recht kurz, verglichen mit anderen Musikevents; ich sah ein Meer aus weißem Haar, viele Anzüge, Perlenketten. In dieser Schlange war ich der Jüngste.
    Ich kaufte mir ein Glas Sekt, nachdem ich durch war. Im Foyer, wenn man die etwas industriell wirkende Vorhalle so nennen wollte, war ich ebenfalls der Jüngste. Der Piccolo, preislich eher zur Gruppe der Jahrgangsweine zu zählen, die der Graf von Monte Christo zu sammeln pflegte, lockerte mich etwas. Natürlich waren die Leute meines Alters bereits auf ihren Plätzen; nur die Alten und Schwachen, nicht in der Lage, in Trab zu verfallen, dümpelten noch in der Halle. Die Halle lag im Halbdunkel, sah ich kurz darauf. Aber es war nicht halbdunkel genug, um zwei Sachverhalte zu verschleiern.
    Erstens: Die Halle war lediglich zur Hälfte gefüllt.
    Zweitens: »Zur Hälfte« bedeutete etwa 3000 Besucher, und von denen war ich augenscheinlich noch immer der Jüngste.
    Gute Sitze in Reihe eins; es roch nach Kölnisch Wasser und Festiger; Seide, oder Material, das sich zumindest wie Seide anhörte, raschelte hinter mir.
    Direkt links blickdichte Strumpfhosen, rechts ein haariger Arm mit Hemdmanschetten und goldener Uhr mit Bergmannsmotiv. Ein Aufwallen von Sodbrennen erfasste mich. Ich mutmaßte, dass das am Sekt lag, aber es konnte auch eine physische Reaktion auf das Gefühl sein, gleich zwangsadoptiert zu werden.
    Vereinzeltes Husten. Ich war starr wie eine Porzellanvase. Hier, in der ersten Reihe, herrschte die angespannte Atmosphäre einer Versteigerung.
    Â»Jetzt Kopulierender Gratulant, ein vierjähriges Rennpferd aus dem Gestüt Pawlowski. Ja, fünftausend vom Herrn mit der Bergmannsuhr … sechs, ja, sechsfünf von der Dame in … Seide? Sieben, ich höre sieben, wer bietet acht? Sekunde – wir brauchen hier ein Kehrblech.«
    Dann ging alles Schlag auf Schlag. Das Licht erlosch.
    Das Orchester stimmte I’ve Got The World On A String an, Lichter flammten auf, hinter mir Stöhnen, als würde reihenweise erblindet.
    Der Meister, Francis Albert, The Voice, Ol’ Blue Eyes, Leader of the Pack, betrat die Bühne. Er grinste von einem sonnenbraunen Ohr zum anderen; sein Toupet wirkte, als wäre es verchromt; alt, ja, aber voller Würde – im Großen und Ganzen ließ er die Rolling Stones wie dieses singende Sperma von Tokio Hotel aussehen. Er griff zum Mikro, sagte »good evening«, und addierte sechs Millionen Jahre Ruhrgebiets-Geldadel applaudierten. Die Druckwelle Tausender Hände presste eine Killerwoge Tosca von den Oberrängen in die ersten Reihen, eine Art Geruchs-La-Ola, die mir noch wochenlang im Nackenbereich anhaftete.
    Ich war wie vom Donner gerührt.
    Die Stimme, die überall auf der Welt berühmt war, schallte aus den Lautsprechern eines unbedeutenden Gebäudes in
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