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Der David ist dem Goliath sein Tod

Der David ist dem Goliath sein Tod

Titel: Der David ist dem Goliath sein Tod
Autoren: Torsten Sträter
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Winter. Sinatra ist doch ziemlich alt.«
    Â»Dieses Risiko gehe ich ein«, entgegnete ich. »Wenn er vorher verstirbt, nehm ich Karten für die Gipsy Kings, in Gottes Namen. Gibt es schon Tickets?«
    Â»Noch nicht. Nein.«
    Ich erkundigte mich nach dem Preis. Ihr Finger bereiste erneut die Zeilen.
    Â»Die liegen so bei …« Ihre Augen verengten sich zu so verschlagenen Schlitzen, dass ich mir fast sicher war, dass sie sehr wohl jeden Godzillafilm gesehen hatte. »… 280 DM.«
    Â»Und wenn er nicht bei mir zu Hause singt?«
    Sie ignorierte den kleinen Scherz.
    Â»Damit geht’s erst los. Wenn Sie vorn sitzen möchten, haben wir 310, 340 und 365 DM.«
    Â»Wie bitte?«, sagte ich. »Sinatra ist der größte Entertainer des Jahrtausends, wenn wir Attila den Hunnenkönig mal außen vor lassen. Keine Frage. Ol’ Man River , My Way , das Rat Pack , der Oscar für Verdammt in alle Ewigkeit , ein paar Hundert Affären, 1800 Aufnahmen, der Auftritt bei Al Bundy … aber 365 Mark gehen einen Tick zu weit. Für das Geld kann ich wohl erwarten, dass er mir auf der Bühne seinen Arm um die Schultern legt. Schauen Sie noch mal nach. Vielleicht stimmt die Währung nicht.«
    Die Währung stimmte. Ich musste mir etwas einfallen lassen.
    Winter.
    Nutella war gestrichen worden, und zwar nicht aufs Brötchen, sondern von meinem Speiseplan. Ich hatte mich bis tief in den Herbst mit einem Ersatzstoff beschieden, der weder so schmeckte wie das Original noch dessen bestechende Optik aufwies, aber 45 Prozent günstiger war. Nusspli , der Daihatsu Cuore unter den Brotaufstrichen, verlangte mir wirklich einiges ab, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken an das Konzert.
    Ich war auch nicht mehr in reguläre, teure Theatervorstellungen gegangen, sondern lediglich in die preislich günstigere Generalprobe – was ich im Übrigen jedermann ans Herz legen möchte. My Fair Lady kommt nochmal so gut, wenn Eliza Doolittle mitten in Es grünt so grün über einen nachlässig montierten Stuhl stürzt und »SCHEISSDRECK!« brüllt. Dies wird dann in der Regel nur noch durch den darauffolgenden Auftritt eines Mannes mit Akkuschrauber gekrönt, der versucht unsichtbar zu sein, während er in seinem Blaumann nach einer Schlitzschraube sucht.
    Jedenfalls sparte ich an allen Ecken und Enden. Ich benötigte ohnehin nur eine Konzertkarte; die Fronten zwischen meiner Freundin und mir hatten sich über den Sommer soweit verhärtet, dass ich gezwungen war, mir in meiner eigenen Wohnung Simply Red und ihr Gemecker über minderwertigen Nussnugataufstrich anzuhören. Sie hätte mich vielleicht trotzdem zum Konzert begleitet, aber ein gemurmeltes »Dir zuliebe« mit Opfermiene für 365 Mark wollte ich nicht provozieren.
    Ich suchte den Schalter in der Passage erneut auf.
    Statt der älteren Dame saß dort nun eine bedeutend jüngere. Sie trug einen Rolli, der sie ebenso einengte wie ihr Arbeitsplatz, und rauchte sich mit Mentholzigaretten eine Nebelbank zusammen. Ich wartete auf mein »Westernhagen«, wurde stattdessen aber wie ein Mensch begrüßt.
    Â»Gibt es noch Karten für Sinatra?«
    Einen entsetzlichen Moment lang dachte ich, sie würde verneinen. Tut mir leid, die waren schon im März ausverkauft. Gestern gab’s noch vierzig VIP-Tickets, aber die hat jetzt alle Westernhagen.
    Â»Allerdings«, erwiderte sie jedoch. »Welche Kategorie?«
    Â»Die Königsklasse«, sagte ich. »Den besten Platz, den Sie haben.«
    Sie zog die Stirn in Falten.
    Â»Ich habe etwa 400 gute Plätze.«
    Das konnte unmöglich sein. Was lief hier für ein Kokolores?
    Â»Wo ist eigentlich Ihre Kollegin?«
    Â»Welche?«
    Â»Die, die fast strickt.«
    Â»Wer?«, fragte sie.
    Ich produzierte eine wegwerfende Handbewegung.
    Â»Ihre Kollegin. Etwas älter.«
    Â»Ach so«, sagte sie. »Krankenhaus.«
    Erzähl du mir noch mal einen von Winter, dachte ich und zählte das Geld ab.
    Mein Kleiderschrank offenbarte Unerfreuliches. Eingedenk des Plakatmotivs, welches das Konzert ankündigte, konnte ich kaum in Jeans und Motto-T-Shirt aufkreuzen, nicht mal, wenn das Motto »Verzeihung, aber das Atelier meines Maßschneiders ist explodiert« gewesen wäre.
    Denn Sinatra war der Stilgott: Überlebensgroß und sanft von hinten beleuchtet, zeigte er sich auf den
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