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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul
Autoren: Christian Ditfurth
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dein Dienstherr ist der Staat.«
    »Ja.«
    »Was heißt >ja    »Ich bin Wärter, mein Dienstherr ist das Land Sachsen.«
    Ich ließ das Gelenk knacken. Er stöhnte. »Wer hat das Los geschickt?«
    »Die OC«, stöhnte er. »So wird bestimmt, wer einen Auftrag ausführen muss.«
    Ich hatte davon gehört, Rathenaus und Erzbergers Mörder wurden so beauftragt. Die OC verschickte ihre Mordaufträge als Lose. Dass wirklich gelost wurde, glaubte ich nicht. Eine Verschwörerorganisation überlässt nichts dem Zufall.
    Ich brüllte: »Hilfe! Überfall! Schnell!«
    Bald hallte Trappeln im Gang. Kurz hintereinander erschienen zwei Schließer. Der eine riss mich vom Rücken des Attentäters weg, dann drehten beide meine Arme nach hinten, ich hörte die Handschellen schnappen. »Er wollte mich umbringen!« rief ich. »Schauen Sie auf den Boden, da liegt das Messer.«
    »Er hat von innen gegen die Tür geklopft, bis ich öffnete, dann ist er mit dem Messer über mich hergefallen«, sagte der Wärter auf der Pritsche. Er erhob sich langsam und wimmerte. Dann schaute er mich zornig an und ging. Der eine Schließer stieß mich auf die Pritsche. »Darüber reden wir morgen noch mal.«
    Am Morgen führten mich zwei Wärter in Handschellen zum Direktor der Untersuchungshaftanstalt. Ich berichtete, was geschehen war. Er stellte dem die Aussage des Attentäters entgegen.
    »Man hat mir alles abgenommen, als ich eingeliefert wurde. Und die Zelle ist gewiss gefilzt worden, bevor sie neu belegt wurde. Erklären Sie mir, warum ich einen Wärter anlocken, überfallen und misshandeln soll. Nennen Sie einen einzigen Grund dafür!«
    »Um auszubrechen«, sagte der Direktor gelassen. »Warum denn sonst?« Er kratzte sich am Kinn, es ragte spitz aus seinem Gesicht, darüber ein schmaler Mund mit dünnen Lippen. Er setzte die Brille ab und gleich wieder auf. Nachdem er dies einige Male wiederholt hatte, sagte er: »Wir werden es nicht aufklären. Aber ich werde den Beamten, mit dem Sie aneinandergeraten sind, versetzen, solange Sie unser Gast sind.«
    Er grinste. »Ich würde es bedauern, wenn in meiner Anstalt ein Mord oder ein Ausbruch gelänge. Wir sind schließlich in Deutschland und nicht bei den Hottentotten.« Er setzte die Brille ab und sagte: »Nicht wahr?«
    »Ich glaube, im Vergleich zu den Zuständen bei uns geht es bei den Hottentotten zivilisiert zu«, sagte ich.
    Er verzog das Gesicht, dann lächelte er. »Sie müssen das wohl so sehen.«
    »Ich glaube, die Hottentotten bringen ihre Gefangenen nicht vor dem Prozess um.«
    Er hob die Augenbrauen, setzte seine Brille ab und auf, kratzte sich am Kinn und ließ mich abführen.
    Ich hockte mich an den kleinen Tisch in meiner Zelle und spürte die Erschöpfung. Es war ein Elend. Immer wieder stand ich kurz davor, eine Ecke des Netzes zu packen, das die Verschwörer gewebt hatten, aber dann entglitt sie mir. Ich wusste nicht alles über die Machenschaften der OC, doch was ich wusste, reichte aus, um ein Bild zu sehen, das mich ängstigte.
    Am Ende stand der große Krieg, den wollten sie alle. Wenn die Führung der Reichswehr auch gewiss nicht unterrichtet war über die Einzelheiten der Ehrhardtschen Mordaktionen, so war sie doch die Gewinnerin des Bürgerkriegs. Sie konnte darüber hinwegsehen, wie sie diesen Sieg erreicht hatte. Ehrhardt kam mir vor wie ein Puppenspieler, unsichtbar zog er an den Fäden. Verzweiflung packte mich. Ich hatte ein paar Punkte gemacht in der Verhandlung, aber was hatte ich davon? Meine Hoffnung war der Senatspräsident. Ein Mann, der viel erlebt hat, ändert seine Haltung nicht von heute auf morgen. Er hatte Charakter gezeigt. Doch reichte es für einen Freispruch? Den Rest des Tags und in der Nacht grübelte ich, ohne voranzukommen.
    *
    Am Morgen beantragte ich erneut, Kapitän Hermann Ehrhardt zu laden. Der Oberreichsanwalt erhob keinen Einspruch, erklärte aber, Ehrhardt wohne im Ausland und besitze keine ladungsfähige Anschrift. Voß hatte meinen neuerlichen Antrag erwartet. Immerhin rief das Gericht Rübezahl als Zeugen auf.
    Ich tippte Merkel, der vor mir saß, auf die Schulter. Er drehte sich um, ich zischte: »Fangen Sie an, fragen Sie nach meinem Verhalten im Krieg.«
    Merkel erschrak, dann richtete er sich auf. Rübezahl warf mir einen starren Blick zu, als er sich vor dem Gericht aufstellte.
    »Herr Major, Sie sind vom Angeklagten als Zeuge benannt worden. Können Sie uns denn etwas über die beiden Mordfälle berichten?«
    »Nein, Herr
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