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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul
Autoren: Christian Ditfurth
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nicht hinweggehen über die Zweifel, die die Verhandlung ergeben hatte.
    Das Gericht kam mehr als eine halbe Stunde zu spät. Als der Senats-Präsident, die Beisitzer, die Ankläger und alle anderen Platz genommen hatten, schlug der Senatspräsident eine schmale Akte auf und sagte: »Angeklagter, wir haben Ihren Antrag auf Ladung des Vizekanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Göring noch einmal geprüft. Wir teilen mit, dass der Herr Vizekanzler uns gebeten hat, in diesem Verfahren als Zeuge auftreten zu können. Das Gericht hält dies zwar nicht für erforderlich, teilt aber das Ansinnen des Herrn Vizekanzlers, sich in diesem Verfahren gegen die Beschmutzungen durch die internationale Presse zur Wehr zu setzen. Ich rufe also als Zeugen auf den Vizekanzler des Deutschen Reichs und Ministerpräsidenten des Landes Preußen, Herrn Hermann Göring.«
    Die Tür zum Flur öffnete sich, Göring erschien in einer weißen Uniform, an der linken Brust den Pour le Mérite. Die Schirmmütze trug er unter dem Arm. Mir kam er noch fetter vor als bei unserem Treffen. Sein Blick streifte mich.
    Während der Richter den Zeugen belehrte, versuchte ich mir einen Reim auf die Wendung des Verfahrens zu machen. Es steckte gewiss Aschbühler dahinter. Ich hätte zu gerne gewusst, was er lanciert hatte. Vermutlich die OC-Verschwörung, über die ich mit ihm gesprochen hatte. Und vielleicht saß einer seiner Spione unter den Zuschauern und hatte gehört, wie ich Göring des Mords an Hitler beschuldigte. Ich war Aschbühler dankbar, dass er mir diese Gelegenheit verschafft hatte. Kurz versank ich in der Erinnerung an Sofia, dann riss ich mich zurück in die Gegenwart.
    Der Senatspräsident und danach der Oberreichsanwalt stellten ein paar unterwürfige Fragen. Göring erklärte, er habe nichts zu tun mit den Morden am Führer und den anderen. Er wisse nicht, warum Brückner sich getötet habe. Den Kapitän Ehrhardt kenne er nur beiläufig und habe ihn lange nicht gesehen. Dann war ich an der Reihe. Göring lächelte mich überlegen an.
    Die Gedanken überholten sich in meinem Kopf. »Herr Zeuge, gehen wir zurück in den November 1932, nach der Reichstagswahl, in der Ihre Partei Stimmen verlor. Können Sie mir verraten, in welcher Situation sich die NSDAP damals befand, finanziell und politisch?«
    Der Senatspräsident sagte: »Soetting, Sie haben die Geduld des Gerichts schon mehrfach arg strapaziert. Was soll denn diese Frage mit der Anklage gegen Sie zu tun haben? Herr Zeuge, Sie brauchen diese Frage nicht zu beantworten.«
    Göring streckte seinen Rücken gerade und sagte mit dröhnender Stimme: »Ich bin hier, um alle Fragen zu beantworten, damit endlich Ruhe ist mit den Verleumdungen der moskowitischen Strippenzieher im Ausland.«
    »Bitte«, sagte der Senatspräsident unglücklich.
    »Unserer Partei ging es damals finanziell nicht gut. Wir hatten mehr Schulden als Einnahmen und Vermögen. Wenn Sie das genau wissen wollen, fragen Sie den Herrn Schwarz, unseren Reichsschatzmeister. Wir hatten uns in unserem Kampf für Deutschland fast selbst zerstört.«
    »Hätte Hitler seine Linie >Reichskanzler oder nichts< fortsetzen können, wäre Ihre Partei womöglich untergegangen. Ist das richtig, Herr Zeuge?«
    »Das sind Spekulationen. Aber ich mache kein Hehl daraus, ich war mit Herrn Hitlers Haltung nicht einverstanden. Hätten wir so weitergemacht, gäbe es wohl keine nationale Regierung und keine Wiedergeburt Deutschlands. Vielleicht hätte die Kommune sogar ihre Revolution gemacht, und wir lebten heute in einem Sowjetstaat.«
    Die Braunhemden im Saal applaudierten.
    »Die Rettung Deutschlands war also erst möglich, als Hitler tot war?«
    »Das ist eine unverschämte Verdrehung meiner Aussage!« donnerte Göring.
    »Hätte Hitler so weitergemacht, dann lebten wir heute womöglich in einem Sowjetstaat, das haben Sie gesagt, nicht ich, Herr Zeuge.«
    »Adolf Hitler allein hat die nationalsozialistische Bewegung zu dem gemacht, was sie heute ist. Kein aufrichtiger Nationalsozialist würde das Vermächtnis des Führers beschmutzen. Das überlassen wir solchen Verrätern wie Ihnen, Soetting. Solchen hergelaufenen Lumpen, die ihr Vaterland öffentlich in den Dreck ziehen.«
    Ich spürte, wie ich innerlich ruhig wurde. Ein guter Kriminalkommissar merkt, wenn einer die Beherrschung verliert, weil es eng wird.
    »Vielen Dank, Herr Zeuge, für die Belehrung.«
    Göring lächelte spöttisch. Auf seiner Stirn glänzte es.
    »Ohne Hitlers Tod
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