Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt
Autoren: Helmut Vorndran
Vom Netzwerk:
Waldboden und schlief auf der Stelle ein.
    Sie
folgten dem Baron zwischen den exotischen Gewächsen seines nostalgischen
Anwesens hindurch in den großen Garten, der sich hinter dem Haus bis zur
Baunach erstreckte. Von dem kleinen Flüsschen war allerdings nicht viel zu
sehen, vielmehr stand der größte Teil des Wiesengrundes mit seinen Obstbäumen
unter Wasser: ein mittelgroßer See, aus dessen Wasseroberfläche Apfelbäume
wuchsen. Ein absonderlicher Anblick. Sofort entdeckte Lagerfeld den Grund der
Bescherung: Biber. Am Ende des Sees befand sich ganz eindeutig eine Biberburg.
Die possierlichen Nager hatten etwa ein Viertel des gesamten adligen
Gartengrundstückes durch ihren Damm geflutet. Und da man die geschützten Tiere
nicht jagen durfte, stand der Herr Baron hier offensichtlich vor einem Problem.
Lagerfeld grinste erneut, aber bevor sich die beiden Kommissare mit dem
aufgestauten Gewässer genauer beschäftigen konnten, machte der Baron abrupt
eine Neunzig- Grad-Biegung nach links, blieb neben einem hüfthohen Lattenzaun
stehen, deutete zu Boden und verschränkte die Arme, um anschließend bockig
hervorzustoßen: »Hier, bitte.«
    Lagerfeld
und Huppendorfer blickten auf den Boden und sahen, dass sie nichts sahen. Hier
gab es nichts außer sauber aufgeworfenen Blumenbeeten, in denen sich die Blüten
von Blumen und Stauden schon gierig der Maisonne entgegenreckten. Es roch zwar
etwas vergammelt, aber nach Toten oder gar Ermordeten sah es hier ganz und gar
nicht aus. Eher nach einem penibel gepflegten Gartengrundstück. Auch
Riemenschneider schnüffelte ratlos zwischen den Pflanzen herum.
    Lagerfeld
blickte den Baron erst verwirrt, dann zunehmend verärgert an. Dieser Tag
schickte sich an, nur einem Zweck zu dienen: ihn zur Weißglut zu treiben. Und
das war bei seiner lässigen Lebenseinstellung wirklich eine ansehnliche
Leistung.
    »Ich
hoffe sehr, dass Sie sich hier keinen Scherz mit uns erlaubt haben, Herr von
Rotenhenne. Dachten Sie vielleicht, dass Sie mal auf Gutsherrenart die
Staatsgewalt verarschen können? Wo sind denn jetzt Ihre weiblichen Leichen,
wenn ich fragen darf?«
    Cesar
Huppendorfer schaute auf seine Uhr und hatte den Termin innerlich schon
abgehakt unter der Redensart: »Jeden Tag steht ein Depp auf.«
    Doch der
Baron von Rotenhenne legte gerade erst los. »Scherz? Ich beliebe nie zu
scherzen, meine Herren, nur damit wir uns nicht missverstehen.« Er hob den
Zeigefinger der rechten Hand.
    »Ach,
wirklich? Ich habe jedenfalls keine Lust mehr auf Ihren Blödsinn«, giftete
Lagerfeld mühsam beherrscht zurück. Er war kurz davor zu platzen. »Entweder
zeigen Sie mir jetzt Ihre Leichen, oder ich werde Sie verhaften – wegen
Verschwendung von Steuergeldern, Irreführung der Justiz oder irgendeinem
anderen Grund, der mir noch einfällt! Wahrscheinlich haben Sie Ihre Toten nur
geträumt oder sind der erste Nachrücker für einen Logenplatz in
St. Getreu!«
    Lagerfeld
hatte sich in seinen Monolog hineingesteigert, aber der Baron war merkwürdig
ruhig geblieben und deutete nun stumm mit einer dramatischen Geste, die er sich
im Theater von einer »Hamlet«-Aufführung abgeschaut haben musste, auf den Rand
des Beetes direkt am Gartenzaun. »Keine Leichen? So so, und was ist das hier?«
    Lagerfeld
stellte sich direkt an den Gartenzaun, inspizierte das Beet, konnte aber nur
ein paar ausgegrabene, ziemlich vergammelte Blumenzwiebeln entdecken, die
herumlagen. »Ich seh nur Blumenzwiebeln«, knurrte er mühsam beherrscht. »Was
soll der Quatsch?«
    »Nur
Blumenzwiebeln, ja?«, knurrte der Baron von Rotenhenne zurück. Was dann folgte,
war ein dermaßen sensationeller Vortrag, dass sich Lagerfeld sein Lebtag daran
erinnern würde. »Keine Leichen? Ich will dir mal was sagen, du Jungspund«,
blaffte der Baron und näherte sein Gesicht bis auf wenige Zentimeter dem von
Lagerfeld. »Endlich, endlich ist er wieder da, der Frühling. Es ist Ende Mai.
Der Nachtfrost, die kalte Sophie und die Blütenschäden sind vorbei, und ich
kann mich wieder um meinen Garten und um meine geliebten Pflanzen kümmern. Das
alles habe ich geerbt. So ein Garten war früher ein Reichtum, ein Privileg!
Aber das, was früher war, interessiert ja den gemeinen Bamberger nicht mehr.
Jetzt ist schließlich jetzt. Gestern waren der Honecker und der Strauß und der
Gaddafi, aber solche Figuren sind alle Geschichte, doch mein Garten – mein
Garten hat sie alle überlebt. Und er ist mir heilig. Ein Garten ist nämlich
kein Hobby, wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher