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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt
Autoren: Helmut Vorndran
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Stufenburg
wieder aufzubauen. Das mittelalterliche Gemäuer oberhalb von Baunach hatte
eigentlich nur noch aus ein paar Steinhaufen mit Untermietern aus dem Reich der
Fauna bestanden, aber Ferdinand Baron von Rotenhenne hatte es sich zu seiner
Lebensaufgabe gemacht, den Stammsitz seines Geschlechtes wieder aufzubauen,
auch wenn das mindestens genauso viele Euros verschlingen würde wie seinerzeit
die Herkulesaufgabe des Wiederaufbaus der Frauenkirche zu Dresden. Aus diesem
Grund wohnte der Baron Ferdinand von Rotenhenne auch nicht in einem seiner
zahlreichen fränkischen Schlösser oder in einer seiner Burgen, sondern in
diesem kleinen Gutshof mit Gartengrundstück am Ortsende von Baunach. Von hier
war es nicht allzu weit zu seiner Burgbaustelle, sodass er täglich den
Baufortschritt begutachten konnte.
    In der
Öffentlichkeit trat der Baron nur mehr selten in Erscheinung, ganz anders als
zu der Zeit, da er noch für die CSU als oft
querdenkender Kandidat angetreten war. Sein Bekanntenkreis war seinerzeit
langsam, aber stetig auf eine homöopathische Dichte zusammen- geschrumpft. Doch
das war schon lange her, und jetzt bestand seine Hauptlebensaufgabe in der des
Burgbaumeisters.
    An dem
überwachsenen Rankgerüst, das das schmiedeeiserne Tor überspannte, hing auf
Brusthöhe ein ziemlich verrostetes Messingschild, auf dem man den Namen
»Rotenhenne« nur durch den Grünspan erahnen konnte. Daneben hing ein dünnes
Seil, das nicht den Eindruck vermittelte, als würde es auch nur leichtesten
Zugbelastungen standhalten. Würde man das Ding auch nur berühren, hätte man
bestimmt sofort die ganze Konstruktion in der Hand, dachte Lagerfeld, während
Huppendorfer das zugewucherte Anwesen skeptisch betrachtete.
    Ohne viel
Hoffnung auf Erfolg zog Lagerfeld an dem hölzernen Endstück des Seiles, das
wohl irgendwann einmal einen Griff dargestellt hatte. Wider Erwarten hielt das
Seil dem kräftigen Zug des Kommissars stand, und aus dem großen Gartenhaus aus
Sandstein konnte man das helle Läuten einer Glocke vernehmen. Als anschließend
eine Minute lang nichts passierte, schauten sich die beiden jungen Kommissare
ratlos an, während Riemenschneider begann im Gehweg vor dem Gartenzaun mit
ihrem Rüssel nach etwas Fressbarem zu wühlen. Gerade als Lagerfeld die Hand
hob, um sich den Glockenzug noch einmal richtig vorzunehmen, tauchte ein Mann
auf dem Kiesweg vor dem Haus auf. Um es gleich vorweg zu sagen – der Mann
ging nicht, er schritt. Hätte man nichts von seiner adligen Abstammung gewusst,
wäre sie einem jetzt aufgefallen. In den Adern dieses Menschen floss blaues
Blut, er, der da in seiner dunkelbraunen Strickweste der Marke »Frankonia Jagd«
den Kommissaren entgegenstolzierte, quoll förmlich über vor adligen Genen. Am
Gartentor hielt er inne und musterte seine beiden Besucher einige Sekunden, ehe
er sich dazu herabließ, ihnen das Gartentor zu öffnen. Der Blick des
Endfünfzigers mit leichtem Bauchansatz und grauen Schläfen blieb sofort an
Lagerfeld hängen.
    »Ich
hatte keine Handwerker bestellt, meine Herren«, sagte er, während seine Augen
wiederholt missbilligend über Lagerfelds Kleidung wanderten. Schnell, um
weitere Bemerkungen über die an ihm haftenden weißen Farbpigmente zu vermeiden,
zückte Lagerfeld seinen Dienstausweis und hielt ihn dem Baron vor die Nase.
    »Schmitt,
Kriminalpolizei Bamberg«, erwiderte er kühl. »Und das hier ist mein Kollege
Huppendorfer. Ähm, Sie hatten bei uns angerufen? Wenn ich das richtig
verstanden habe, wegen drei Frauenleichen … Ist das so korrekt?« Lagerfeld
hatte versucht weder zynisch noch abfällig zu klingen, aber der Versuch schien
ihm nicht besonders gut gelungen zu sein. Aus den Augen des Barons schossen
Blicke wie kleine, spitze Eiskristalle in Lagerfelds Richtung.
    »Allerdings
ist es das!«, posaunte der Baron mit aggressivem Unterton in der Stimme heraus.
»Und wenn sich die Kriminalpolizei nicht endlich diesem unglaublichen
Verbrechen widmet, dann werde ich damit an die Öffentlichkeit gehen, die Presse
verständigen. Muss man denn immer erst drei Mal anrufen, bevor sich ein
Gesetzeshüter in Bewegung setzt?« Strafend blickte Baron von Rotenhenne von
einem Kommissar zum anderen.
    Lagerfeld
starrte ungläubig zurück. »Sie haben schon öfter angerufen?«
    »Natürlich«,
erwiderte der Baron. »Und jedes Mal musste ich mir von diesem Herrn Suckfüll
irgendwelche dummen Kommentare anhören. Eine Unverschämtheit ist so etwas. Und
das mir, einem
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