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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt
Autoren: Helmut Vorndran
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leidlich für seine Redlichkeit bekannten Mitbürger.«
    Lagerfeld
kapierte gar nichts mehr. Da meldete jemand drei Frauenleichen, und Fidibus
hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als den Mann mehrfach abzuwimmeln?
Anscheinend war ihr absonderlicher Chef völlig übergeschnappt – oder aber
etwas war hier oberfaul.
    »Äh,
könnten wir denn vielleicht einmal einen Blick auf die Leichen werfen?«, fragte
Huppendorfer, dem die Ratlosigkeit ebenfalls ins Gesicht geschrieben stand.
    »Selbstverständlich,
meine Herrn, wenn Sie mir bitte folgen möchten.« Rotenhenne trat zur Seite und
deutete einladend Richtung Gutshof. Lagerfeld griff sich Riemenschneiders Leine
und wollte am Baron vorbei, doch beim Anblick des Ferkels erstarrten sofort
dessen Gesichtszüge und sein Körper.
    »Was ist
das?«, brachte er zwischen zusammengepressten Lippen hervor, während er mit der
rechten Hand wild in Riemenschneiders Richtung fuchtelte. »Warum wollen Sie
dieses Schwein auf mein Grundstück mitnehmen?«, krächzte er heiser. »Mir ist
nicht bekannt, dass die Bamberger Polizei neuerdings von landwirtschaftlichen
Nutztieren unterstützt wird.« Seine Augen funkelten erbost – und auch
etwas verwirrt. Doch Lagerfeld ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Tauchte
die Riemenschneiderin irgendwo auf, so gab es des Öfteren Probleme.
    »Nun,
Herr Rotenhenne, das hier ist ein Polizeischwein, meine Dienstwaffe, wenn Sie
so wollen.« Lagerfeld grinste. Es war eine Wohltat, den schnöseligen Baron
fassungslos zu erleben. »Dieses Schwein, wie Sie es zu nennen belieben, Herr
Baron, war schon an der Aufklärung mehrerer Mordfälle beteiligt. Es gibt also
keinen Grund zur Aufregung. Wenn wir uns nun bitte den toten Frauen zuwenden
könnten? Herr Baron?«
    Baron von
und zu Rotenhenne blickte von Lagerfeld zum Ferkel und zurück, bevor er sich zu
einem Kompromiss durchrang. »Auf diesem Gut wachsen Pflanzen von ganz
außerordentlicher Rarität, meine Herren. Es ist eine Art privater botanischer
Garten. Ein Arboretum von ausgesuchtem Wert und Ansehen mit teilweise
unersetzlichem Bewuchs. Ich möchte für Sie hoffen, dass dieses … dieses
Polizeischwein seinen Rüssel von meiner mühsam gezogenen Flora fernhält. Ansonsten
werde ich Sie umgehend regresspflichtig machen, nur damit wir uns verstehen.«
Sein düsterer Blick ruhte drohend auf Riemenschneider, die unter der momentanen
Stimmungslage sichtlich litt. Fragend blickte sie zu Lagerfeld hinauf, der
beruhigend ihren Kopf tätschelte.
    »Keine
Sorge, Herr Baron, dieses Schwein wurde polizeitechnisch ausgebildet und ist
daran gewöhnt, nur auf Befehl zu handeln. Riemenschneider würde eher
verhungern, als irgendwelche seltenen Pflanzen fressen, die auf fremdem
Eigentum wachsen, nicht wahr, Riemenschneider?« Ausgesprochen selbstsicher und
bestimmt richtete er seinen Blick auf den zweifelnden Baron, während das kleine
Ferkel eine Mimik des absoluten Unverständnisses und der grenzenlosen
Frustration an den Tag legte. Von dem gepflegten Garten hatte Riemenschneider
sich kulinarisch definitiv mehr versprochen. Für sie duftete es hier wie für
Menschen in einer Fünf-Sterne-Küche. Auf merkwürdige Art und Weise ähnelten
sich die Gesichtszüge des kleinen Ferkels und die des Barons für einen kurzen
Augenblick. Letzterer aber atmete seinerseits kurz durch, schüttelte dann
resigniert den Kopf und ging dem polizeilichen Triumvirat voraus, den Kiesweg
entlang in Richtung Gartengrundstück, das hinter dem steinernen Haupthaus lag.
    Die
knackenden Geräusche im Wald hinter ihm wurden langsam schwächer, und als er
nach minutenlangem Dauerlauf völlig ausgepumpt seine Arme auf die Oberschenkel
stützte, war nichts mehr zu hören. Der Wald hatte ihn mit seinem dichten
Bewuchs umschlossen, und die heraufdämmernde Abendstimmung legte sich
beruhigend um seine gehetzte Seele. Aber nicht beruhigend genug. »Weiter, du
musst weiter!«, trieb ihn eine imaginäre Stimme in ihm weiter an. Er folgte
seinem inneren Befehl und rannte weiter, nachdem sein Puls wieder einigermaßen
in den grünen Bereich gesackt war. Als sich der Weg irgendwann im immer dunkler
werdenden Wald verlief, folgte er nur noch seinem Gefühl. Weiter über Moos,
vertrocknete Zweige und vereinzelte Schneereste, die er hinter sich ließ. Fort
von diesem schaurigen Platz des Feuers und der Explosion. Irgendwann, als Geist
und Körper in totaler Finsternis am Ende waren, sank er neben einem riesigen
Steinfindling auf den dicht bemoosten
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