Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
Gefühl, als würde etwas zertrennt werden. Als Miki sich über die Katze warf, verschwand diese, und als wir wieder sehen konnten, hielt Miki ihre tote Schwester im Arm. Wir sind der Ansicht, Miki hat Maya davor bewahrt, für alle Zeiten ein Katzengeist zu sein, und wir beten darum, dass sie in ein besseres Leben wiedergeboren wird, ein Leben, in dem man Zwillinge nicht fürchtet und hasst.
    Takeo lief sofort zu den beiden und umarmte das tote und das lebendige Mädchen. Seine Augen leuchteten so hell wie Edelsteine. Dann ging er zu Hisao, hob ihn vom Boden auf und umarmte auch ihn – jedenfalls kam es uns so vor. In Wahrheit suchte er unter der Jacke des Jungen nach den versteckten Waffen des Stammes. Takeo fand, was er gesucht hatte, zog es hervor und schloss die Hände seines Sohnes um den Griff. Er sah Hisao unverwandt an, als er sich das Messer in den Bauch stieß. Hisaos Augen trübten sich ein, und als Takeo ihn losließ und zu wanken begann, gaben auch die Beine des Jungen nach und er fiel in den Kikutaschlaf.
    Takeo sank neben seinem schlafenden Sohn auf die Knie.
    Bei einer Verwundung im Bauch ist der Tod unausweichlich, qualvoll und langsam. Ich sagte zu Gemba: »Bring mir Jato«, und als er mit dem Schwert zurückkehrte, sorgte ich dafür, dass es seinem Herrn den letzten Dienst erwies. Ich hatte Angst zu versagen, aber das Schwert wusste, was zu tun war, und sprang in meine Hand.
    Der Himmel war voller Vögel, die erschrocken kreischten. Weiße und goldene Federn segelten zu Boden und deckten die Blutlache zu, die sich vor Takeo bildete.
    Seitdem haben wir die Houou nicht mehr gesehen. Sie haben den Wald verlassen. Wer weiß, wann sie zurückkehren?
    An diesem Punkt wurde der Abt wieder von Trauer und Schmerz überwältigt. Er gab den Gefühlen kurz nach und ehrte seinen toten Freund mit Tränen. Doch es gab noch eine Sache, über die er schreiben musste. Er nahm den Pinsel wieder zur Hand.
    Zwei Kinder von Takeo bleiben uns. Hisao behalten wir hier. Gemba glaubt, dass aus so großem Bösen ein großer Geist hervorgehen kann. Wir werden sehen. Gemba nimmt ihn mit in den Wald, denn Hisao mag die wilden Tiere und hat ein ausgeprägtes Verständnis für sie. Inzwischen schnitzt er kleine Skulpturen von ihnen, was wir für ein gutes Zeichen halten. Wir haben das Gefühl, Miki sollte bei ihrer Mutter sein, um wieder gesund zu werden, und ich bitte Sie, nach ihr zu schicken. Haruka kann sie zu Ihnen bringen. Miki hat bereits große spirituelle Kräfte, aber sie ist auch sehr zerbrechlich und braucht Sie.
    Er schaute wieder in den Garten und sah das Mädchen, über das er gerade schrieb. Sie schwieg und war so dünn, dass sie wie ein Geist wirkte. Sie verbrachte viele Stunden an der Stelle, wo ihr Vater und ihre Schwester gestorben waren.
    Er rollte den Brief auf und steckte ihn zu den anderen, die er an Kaede geschrieben hatte. Er hatte die Geschichte viele Male und in vielen Variationen festgehalten. Manchmal hatte er Mayas Geheimnis enthüllt,manchmal hatte er Takeo hehre Abschiedsworte an Kaede und sich in den Mund gelegt. Aber seinem Gefühl nach kam diese schlichte, unausgeschmückte Version der Wahrheit am nächsten. Leider konnte er sie nicht abschicken, denn er wusste nicht, wo Kaede sich aufhielt und ob sie überhaupt noch am Leben war.

KAPITEL 55

    Die Bäume waren kahl, und die letzten Zugvögel waren in langen, an Pinselstriche erinnernden Ketten am Himmel davongeflogen, als Kaede beim Vollmond des elften Monats in Terayama eintraf.
    Sie brachte die beiden Jungen mit, Sunaomi und Chikara.
    Â»Ich freue mich, Sunaomi hier zu sehen«, sagte Gemba, als er sie begrüßte. Er war Sunaomi im Vorjahr begegnet, und damals hatte der Junge die Houou gesehen. »Ihr Mann hatte sich gewünscht, dass er hierherkommt.«
    Â»Sie können nirgendwo anders hin«, erwiderte Kaede. Vor den Kindern mochte sie nicht mehr erzählen. »Geht mit Lord Gemba«, drängte sie die beiden. »Er zeigt euch, wo ihr wohnen werdet.«
    Â»Ihre Tochter ist mit Haruka im Wald, um Pilze zu sammeln«, sagte Gemba.
    Â»Meine Tochter ist hier?«, sagte Kaede. Sie war wie benommmen und fragte mühsam: »Welche Tochter?«  
    Â»Miki«, antwortete Gemba. »Setzen Sie sich, Lady Otori. Sie haben bestimmt eine lange Reise hinter sich, und der Tag ist kalt. Ich hole Makoto und er wird Ihnen alles
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher