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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Autoren: Lian Hearn
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war, und schöpfte wieder Hoffnung, doch er erholte sich jedes Mal, selbst von Gift, wie etwa von Kotaros vergifteter Klinge, und schließlich glaubten sogar die Kikuta an das Gerücht, er sei unsterblich. Akios Hass und Verbitterung wuchsen und er war grausamer denn je. Er suchte im größeren Rahmen nach Möglichkeiten, Otori zu vernichten, wollte sich mit anderen Feinden von Takeo verbünden, versuchte, ihn über seine Frau oder seine Kinder zu treffen. Aber auch dies erwies sich als fast unmöglich. Die verräterische Mutofamilie hatte den Stamm gespalten, den Otori die Treue geschworen und dabei die kleineren Familien wie die Imai, die Kuroda und die Kudo auf ihre Seite gezogen. Und da die Familien des Stammes untereinander heirateten, hatten viele Verräter auch Kikutablut, darunter Muto Shizuka und ihre Söhne Taku und Zenko. Wie seine Mutter und sein Großonkel besaß Taku viele Fähigkeiten, leitete das Netzwerk der Otorispione und wachte ständig über seine Familie. Zenko, dessen Stammesgaben sich nur wenig entwickelt hatten, war durch Heirat mit Otori Takeo verbündet: Die beiden waren Schwäger.
    Kürzlich waren die beiden Söhne von Akios Onkel Gosaburo gemeinsam mit ihrer Schwester nach Inuyama geschickt worden, wo die Otorifamilie das Neujahrsfest gefeiert hatte. Sie hatten sich unter die Menge beim Schrein gemischt und versucht, Lady Otori und ihre Töchter im Angesicht der Göttin zu erstechen. Was dann geschehen war, blieb unklar, aber allem Anschein nach hatten sich die Frauen unerwartet heftig gewehrt: Einer der jungen Männer, Gosaburos ältester Sohn, war verwundet und danach von der Menge zu Tode geprügelt worden. Die anderen hatte man verhaftet und in das Schloss von Inuyama gebracht. Niemand wusste, ob sie tot oder lebendig waren.
    Der Verlust von drei jungen Menschen, die so eng mit Akio, dem Kikutameister, verwandt waren, war ein furchtbarer Schlag. Als bei Frühlingsanfang der Schnee schmolz, die Straßen wieder frei waren und immer noch keine Nachricht von ihnen eintraf, befürchteten die Kikuta schon, sie seien tot, und begannen mit den Vorbereitungen für das Begräbnisritual, wobei sie die Toten umso tiefer betrauerten, da es keine Leichname zum Verbrennen und auch keine Asche gab.
    Eines Nachmittags, als das junge Laub der Bäume grün und silbern glänzte, die überfluteten Felder voller Kraniche und Reiher waren und überall die Frösche quakten, arbeitete Hisao allein auf einem kleinen Terrassenfeld, hoch auf dem Berg. In den langen Winternächten hatte er über eine Idee nachgedacht, die ihm im Vorjahr gekommen war, als er gesehen hatte, wie die Früchte – Bohnen und Kürbisse – auf diesem Feld verschrumpelt und verkümmert waren. Die unteren Felder wurden durch einen schnell fließenden Strom bewässert, doch dieses Feld konnte man nur in regenreichen Jahren bestellen. In jeder anderen Hinsicht war es allerdings vielversprechend, es lag nach Süden hin und war vor den schlimmsten Winden geschützt. Hisao wollte das Wasser bergauf fließen lassen, indem er ein Wasserrad im Fluss dafür benutzte, eine Reihe kleinerer Räder anzutreiben, die Eimer nach oben beförderten. Den ganzen Winter hindurch hatte er an den Eimern und Stricken gearbeitet: Die Eimer bestanden aus leichtestem Bambus und die Stricke waren mit einer besonders kräftigen Rebe verstärkt. Dadurch waren sie haltbar genug, um die Eimer bergauf ziehen zu können, und zugleich leichter und einfacher zu benutzen als Metallstäbe oder Stangen.
    Hisao konzentrierte sich mit ganzer Kraft auf seine Aufgabe und arbeitete auf seine geduldige, gemächliche Art, als die Frösche plötzlich verstummten. Er sah sich um. Er konnte niemanden sehen, wusste aber, dass jemand da war, der nach Art des Stammes die Unsichtbarkeit einsetzte.
    Hisao glaubte, es wäre eines der Kinder, das ihm eine Botschaft brachte, und rief: »Wer da?«
    Die Luft schimmerte auf die Weise, bei der ihm immer etwas übel wurde, und dann stand ein Mann von unbestimmbarem Alter und unauffälligem Aussehen vor ihm. Hisao griff sofort nach seinem Messer, denn er war sich sicher, diesen Mann noch nie gesehen zu haben, doch er hatte keine Gelegenheit mehr, es zu gebrauchen. Der Umriss des Mannes flimmerte, dann war er verschwunden. Hisao spürte, wie die unsichtbaren Finger sein Handgelenk umschlossen. Im nächsten Moment
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