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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Friedrich Glauser
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Frau erzählte: – Oft sei der Mann in der Nacht fortgefahren. Sie könne nicht sagen wohin. Als man sie heute morgen mit dem Polizeiauto geholt habe, da sei es ihr unverständlich gewesen, was man von ihr wolle… Sie unterbrach sich, um Ludwig zu fragen, wie es ihm gehe… Der Bursche nickte: Es gehe ihm gut, er habe Glück gehabt, und wahrscheinlich würden sie beide jetzt reich werden…
    Hungerlotts spitze Stimme unterbrach wieder das Gespräch: – Wegen dem Reichwerden habe wohl das Zivilgericht auch noch ein Wort zu sagen… Das Mädchen mit der weißen Schürze und dem weißen Häubchen auf dem Bubikopf kam herein und trug vor sich her ein Tablett, auf dem Gläser klingelten. In der Rechten hielt sie am Halse drei Flaschen… Der Hausvater meinte, die Herren würden wohl gerne eine kleine Erfrischung zu sich nehmen. Es sei ja unerhört, den Besuch einer Anstalt in ein Verhör ausarten zu lassen…!
    Vater Äbis Gesicht hatte sich verändert; seine Haut war blaß geworden, seit die Frau den Raum betreten hatte… die Mutter erzählte – und ihre Stimme war gar nicht weinerlich –:
    – Ein schönes Leben habe sie nicht gehabt… und jetzt sei noch der einzige Mensch gestorben, der sie beschützt habe, der einzige, vor dem der dort (ihre verarbeitete Hand wies auf Vater Äbi) Angst gehabt hätte. Das schönste Leben habe sie gehabt, wenn der Sohn daheim gewesen sei, der eine Sohn, verbesserte sie sich rasch, als sie sah, daß Ludwigs Augen traurig wurden… – Ja, vor dem Ernst habe der Mann Angst gehabt und wenn er noch so besoffen gewesen sei, habe er nicht gewagt, sie anzurühren, wenn der Ernst daheim gewesen sei… Nur, äbe; der Ernst sei viel fort gewesen, aber er habe ihr oft geschrieben. Diesen Brief hier zum Beispiel… Sie kramte in einer alten Handtasche, zog einen zerlesenen Brief heraus und wollte ihn Studer geben. Um der Frau das Aufstehen zu ersparen, trat der Wachtmeister auf sie zu – aber er war nicht schnell genug… Vater Äbi sprang auf, wie eine Kralle schnellte seine Hand vor – den Brief! Den Brief wollte er haben!
    Und fast wäre es ihm gelungen – wenn nicht der Gefreite Reinhard gewesen wäre. Vater Äbi hätte den Brief fast erwischt… Aber der vife Reinhard stellte ihm ein Bein, Äbi fiel auf die Nase – und ruhig, als ob nichts geschehen wäre, nahm Studer den Brief, entfaltete ihn und fragte: »Darf ich den Brief vorlesen?« Nicken, Nicken allerseits. Studer las:
»Liebe Mutter!
    Einem Menschen muß ich beichten. Diese Nacht hat jemand Steine gegen mein Fenster geworfen, ich war wach, die Kameraden hörten nichts. Als ich hinausschaute, erkannte ich den Vater, der mir winkte. In der Nacht ist die Tür der Schule versperrt. Darum ging ich in den ersten Stock, wo ich ein Fenster kenne, neben dem ein dicker Efeuzweig bis zum Boden reichte, ich turnte hinunter und traf den Vater. Er führte mich in die Heizung. Dort lag der Onkel erschossen am Boden. Er war bekleidet mit einem Nachtanzug und darüber hatte er einen Mantel gezogen. Der Vater schickte mich in das Zimmer des Onkels, ich solle dort einen Anzug, ein Hemd, Socken, Schuhe und einen Überzieher holen. Wir zogen die Leiche aus und bekleideten sie mit den Kleidungsstücken, die ich mitgebracht hatte. Der Tote war noch nicht steif. Dann befahl mir der Vater, ihm zu helfen, den Toten auf den Friedhof zu tragen. Wir legten die Leiche auf das Grab der Anna. Die Polizei sollte meinen, der Onkel hätte sich wegen Liebesgram erschossen. Dann gingen wir in die Heizung zurück. Es war noch genug Glut vorhanden, um den Mantel zu verbrennen, doch dann wurde das Feuer so schwach, daß es unmöglich war, auch den Schlafanzug zu verbrennen. Der Kittel war ja noch naß von Blut. Der Vater ließ mich schwören, den Kittel bei erster Gelegenheit zu verbrennen. Ich nahm ihn mit, kletterte am Efeu wieder in die Höhe, versteckte das Wäschestück in meinem Schaft und gedachte es am nächsten Tage in die Zentralheizung zu werfen. Nach der Postverteilung sah ich, daß Lehrer Wottli ein Packpapier fortwarf; das nahm ich und packte den Kittel darein. Ich wollte in der Nacht aufstehen und beides in der Zentralheizung der Schule verbrennen, aber ich kam nicht dazu. Um halb vier Uhr morgens fuhr der Vater auf seinem Töff Bern zu. Ich sah ihm nach, als plötzlich jemand neben mir stand: es war der Ludwig. Da ich ihm schon einmal geholfen hatte, versprach er mir, nichts von dem zu erzählen, was er gesehen hatte.
    Ich habe dir das alles
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