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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Friedrich Glauser
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worden war, begnügte sich mit seiner Brissago.
    Der Hauptmann begann seinen Untergebenen aufzuziehen. – Was das denn für ein Mord gewesen sei? Ob der Köbu da nicht wieder einmal spinne? Ohne dem Herrn Hausvater nahetreten zu wollen – vielleicht handle es sich nur um eine simple Liebesaffäre, ein älterer Mann habe sich in seine Nichte verliebt und deren Tod nicht überstehen können… Selbstmord? hä? Soviel er wisse, sei auch der hiesige Arzt ein Vertreter der Selbstmordtheorie, und nur ein junger Statthalter, der gern eine Rolle habe spielen wollen, sei der Meinung gewesen, es handle sich um einen Mord…
    Studer bediente sich des Schriftdeutschen, als er antwortete: »Es ist ja möglich, daß ich spinne. Aber vielleicht seid Ihr so gut und erklärt mir, wie ein Mann, der sich ins Herz geschossen hat, ein frisches Hemd anlegen, seine Weste, seinen Rock und seinen Mantel zuknöpfen kann… Wenn Sie mir diese Anomalien erklären können, dann will ich gerne der These des Selbstmordes zustimmen.«
    Schweigen. Es war immer ungemütlich, wenn Studer Schriftdeutsch sprach: denn erstens artikulierte er die Worte fehlerlos, er sprach das Schriftdeutsche nicht wie ein Berner mit gaumigen Kehllauten und dann – das war die Meinung aller Herren – verstand dieser Wachtmeister keinen Spaß… Schließlich war man zu einem gemütlichen Mittagessen zusammengekommen und nicht, um den Rapport eines Fahnders über einen Mordfall zu hören. Der Hauptmann tat, als ärgere er sich. – Studer fuhr fort:
    »Ich hätte gern Ihre Ansicht über Darmgrippe gehört, Herr Hauptmann…«
    »Darmgrippe?« fragte der Vorgesetzte; viele Fältchen durchsetzten die Haut seines Gesichtes.
    »Ja, Darmgrippe…«, sagte Studer trocken. – »Ich habe gestern durch Zufall… (er betonte die Worte ›durch Zufall‹)… drei Damennastücher entdeckt, die ich ins Gerichtsmedizinische mitgenommen habe. Die vom dortigen Assistenten vorgenommene Analyse ergab unzweifelhaft folgende Tatsache: der Auswurf, der die Taschentücher beschmutzt hatte, enthielt Arsen…« Studers Blicke wanderten im Kreise, er sah, daß alle Herren auf ihn blickten, und zu diesen Herren gewandt, sagte er trocken: »Vielleicht wissen auch Sie, daß Arsen ein Gift ist.«
    Das war zuviel! Durfte man sich von einem einfachen Fahnderwachtmeister verhöhnen lassen? Worte schwirrten durcheinander: »Us dr Luft griffe!« – »Chabis!« –»Bewyse! Bewyse söll er syni Behauptige!« Studer dämpfte den Lärm mit erhobener Hand – und dabei kam ihm die Szene wieder in den Sinn, mit welcher der ganze Fall begonnen hatte: Der Landarzt Buff, der sich mit dem Statthalter Ochsenbein über die Leiche des ›Chinesen‹ stritt…
    Eine scharfe Stimme fragte: »Gedenkt Herr Wachtmeister Studer mich zu beschuldigen?« Der Hausvater Hungerlott saß steif aufgereckt in seinem Stuhl – sehr bleich war der Mann…
    »Ich, Sie beschuldigen? Wie käme ich dazu!« Augenscheinlich ging es den Herren auf die Nerven, daß die Diskussion schriftdeutsch geführt wurde… – »Wie sollte ich Sie beschuldigen? Ich habe ja keine Beweise!«
    Der Hausvater Hungerlott ließ sich zurückfallen, er schlug ein Bein übers andere, tauchte ein Stück Würfelzucker in seinen Kirsch, steckte es in den Mund und leerte sein Schnapsglas. Während er knirschend den Zucker zerbiß, sagte er mit vollem Munde: »Ich schlage vor, wir lassen die Diskussion über dieses unerfreuliche Thema fallen und beginnen mit dem Rundgang durch die Anstalt; der Herr Wachtmeister Studer kann sich ja anschließen…« Obwohl auch der letzte Satz mit Zucker im Munde gesprochen worden war, klang sein Ton bitter.
    »Natürlich!« – »Selbstverständlich!« – »Wir wollen die Anstalt sehen!« Studer blieb als letzter zurück, ihm war ungemütlich zumute. Die Durchsuchung des Arbeitszimmers hatte nicht geklappt. Warum waren Reinhard und der Murmann nicht gekommen?
    Würdig schritt der Hausvater Hungerlott vor seinen Gästen einher:
    »Wir sehen vor allem auf Sauberkeit! Sauberkeit ist unser bestes Kampfmittel gegen den Pauperismus. Sauberkeit und gesundes Essen. Bevor ich die Herren in die Schlafsäle führe, werde ich ihnen zuerst die Küche zeigen und sie bitten, die Suppe zu kosten, die heute den Insassen vorgesetzt worden ist…«
    Ein riesiger Herd… Pfannen darauf; zwei Männer standen in der Küche, sie hatten saubere weiße Schürzen vorgebunden und trugen niedere weiße Kappen.
    »Auch unsere Köche sind Insassen der
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