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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Friedrich Glauser
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ähämhäm –, alarmiert man für einen Selbstmord jawohl! die gesamte Kantonspolizei?«
    Also sprach der ältere Herr (gelblichweiße Barthaare wucherten um seinen großen Mund); der elegante Glattrasierte hob abwehrend seine Hände, die in braunen Glacéhandschuhen steckten.
    »Herr Doktor Buff, mäßigen Sie Ihre Rede! Schließlich bin ich Amtsperson…«
    »Amtsperson!… Hahaha!… Da muß ja ein Roß lachen!« Warum sprechen die beiden eigentlich Schriftdeutsch? fragte sich Studer. »Sie halten sich für eine Amtsperson? Eine Amtsperson sieht auf den ersten Blick, daß es sich hier um einen Selbstmord handelt , um einen Selbstmord , Herr Statthalter Ochsenbein!«
    » Um einen Mord! Jawohl, um einen Mord, Herr Doktor Buff! Wenn Sie in Ihrem Alter nicht einmal einen Mord von einem Selbstmord unterscheiden können…«
    »In meinem Alter! In meinem Alter! Will so ein junges Mondkalb… Ja! Ein Mondkalb, ich beharre auf diesem Wort… mir altem Arzte erklären, wo es sich um einen Mord handelt und wo…«
    »In meinen behördlichen Vorschriften steht, daß ich in Zweifelsfällen stets eine kriminalistisch geschulte Autorität…«
    Studer hörte nicht mehr zu. Durch seinen Sinn spazierte ein Verslein:
    Dinge gehen vor im Mond,
Die das Mondkalb nicht gewohnt,
Tulemond und Mondamin
Liegen heulend auf den Knien…
    Aber er rief sich selbst zur Ordnung, denn es schickte sich nicht, vor einer Leiche an lustige Gedichtlein zu denken.
    Die Leiche: Das Gesicht war alt, ein weißer Schnurrbart fiel über die Mundwinkel, weich, wie eine jener Seidensträhnen, die Frauen zu feinen Handarbeiten gebrauchen. Die Augen geschlitzt… Es war der Mann, den Studer vor vier Monaten in einer Julinacht kennengelernt und den er vom ersten Augenblick an den ›Chinesen‹ genannt hatte.
    Während der alte Landarzt, der in seinem abgetragenen Havelock einen arg verwahrlosten Eindruck machte, mit dem eleganten Statthalter weiter diskutierte, dachte der Wachtmeister zum dritten Male an diesem Morgen an jene Julinacht. Und wenn die Erinnerung an dieses merkwürdige Erlebnis die beiden andern Male noch dunkel gewesen war, so wurde es jetzt klar, farbig, und auch die Worte, die damals gesprochen worden waren, begannen in Studers Ohren zu klingen…
    Er fragte – und wie die Stimme eines Friedensengels klang die seine, als sie die schriftdeutsche Diskussion zweier Berner unterbrach: »Wer liegt hier begraben?«
    Dr. Buff antwortete:
    »Der Hausvater der Armenanstalt hat vor zehn Tagen seine Frau verloren…«
    »Der Hausvater Hungerlott?«
    Der Arzt nickte. Im Nacken und über den Ohren waren seine Haare allzulang.
    »Wie wollen Sie erklären, Herr Doktor Buff«, sagte der Statthalter, »daß ein Selbstmörder sich ins Herz schießt, während die Kugel weder seinen Mantel noch seine Kutte, nicht einmal Hemd und Weste durchlöchert hat?… Ist das ein Selbstmord, Wachtmeister? Sie sehen es ja selbst. Die Kleider sind zugeknöpft. So haben wir die Leiche gefunden. Aber der Herzschuß ist da.«
    Studer nickte verträumt.
    »Und der Revolver?« krächzte Dr. Buff. »Liegt der Revolver nicht neben der rechten Hand des Toten? Ist das nicht ein Selbstmord?«
    Studer sah die große Repetierpistole – und erkannte ihn wieder, diesen Colt. Er nickte, nickte –, und dann schwieg er fünf Minuten, weil die Nacht des 18. Juli wie ein Film durch seinen Sinn flimmerte…

Erinnerungen
    Es war ein Zufall, daß Studer an jenem Abend in Pfründisberg abgestiegen war. In Olten hatte er vergessen zu tanken. Deshalb war er damals in der Wirtschaft ›zur Sonne‹ eingekehrt…
    Er trat ein. An der Tür, die ins Nebenzimmer führte, stand ein Eisenofen, der silbern schimmerte, weil er mit Aluminiumfarbe bestrichen war. Vier Männer saßen um einen Tisch und jaßten. Studer schüttelte sich wie ein großer Neufundländer, denn auf seiner Lederjoppe lag viel Staub. Er nahm Platz in einer Ecke… Niemand kümmerte sich um ihn. Nach einer Weile fragte er, ob man hier eine Kanne Benzin haben könne. Einer der Jasser, ein uraltes Mannli in einer Weste mit angesetzten Leinenärmeln, sagte zu seinem Partner:
    »Er wott es Chesseli Benzin…«
    »Mhm… Er wott es Chesseli Benzin…«
    Schweigen… Die Luft hockte dumpf und stickig im Raum, weil die Fenster geschlossen waren; durch die Scheiben sah man das grüngestrichene Holz der Läden. Studer wunderte sich, weil keine Serviertochter erschien, um nach seinen Wünschen zu fragen. Der Partner des Alten meinte:
    »Du
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