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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Friedrich Glauser
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mir die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen – aber ich hab' auf den Kopf bekommen… Als ich auf der Straße ging, wurde mir plötzlich ein Sack über den Kopf gestülpt, ein paar Männer packten mich, fesselten mich – dann traf mich ein Schlag… Ich bin erst um die Mittagszeit aufgewacht, auf dem Grunde des Steinbruches… Die zwei dort haben mich dann gefunden…«
    »Das hat mit dem Fall nichts zu tun«, meinte Studer. »Dieser Überfall beweist nur eines: jemand wollte das Testament des James Farny an sich bringen. Nun komme ich an die Reihe. Als ich vor vier Monaten durch Zufall einen Abend in der Wirtschaft ›Zur Sonne‹ zubrachte, weil ich vergessen hatte zu tanken, und mein Töff nicht bis nach Gampligen stoßen wollte – denn es waren immerhin sechs Kilometer und die Sommernacht heiß und gewittrig – gelangte ich in den Privatraum des Wirtes Brönnimann, wo vier Männer um einen Tisch saßen und jaßten. Ich fühlte gleich, daß meine Anwesenheit unerwünscht war und erkundigte mich nach dem Weg zur Laube… Dort stützte ich mich auf die Brüstung, und sah vor mir einen Ahornbaum, dessen Blätter sich fast zählen ließen… Von irgendwoher mußte der Baum beschienen werden, und als ich nach der Lichtquelle fahndete, sah ich ein hellerleuchtetes Zimmer, in dem ein Mann eifrig in ein Wachstuchheft schrieb. Ein Stoß von fünf anderen Heften lag neben seinem rechten Ellbogen. Ich betrachtete den Fremden – und da passierte mir ein Mißgeschick: ich mußte nießen… Der Fremde sprang auf, sein Stuhl fiel um, mit drei seitlichen Sprüngen war er im Fenster und ich war überzeugt, daß seine Rechte, die in der Tasche seiner Hausjoppe aus Kamelhaar steckte, einen Revolver hielt, dessen Mündung auf meinen Bauch gerichtet war… Immerhin drei merkwürdige Tatsachen: Ein Fremder schreibt im Zimmer einer verlassenen Wirtschaft seine Memoiren, er ist bewaffnet, beim geringsten Geräusch ist er bereit, zu schießen… Ich lernte den Fremden kennen: sein Paß, der in allen Weltteilen erneuert worden war, in Asien, in Amerika, lautete auf den Namen Farny James, geboren am 13. März 1878, heimatberechtigt in Gampligen, Kanton Bern… Der Mann riß das Fenster auf, ich mußte mich legitimieren, und erst als dieser Farny sah, daß er es mit einem Polizeiwachtmeister zu tun hatte, versorgte er seinen Revolver, einen Colt, eine großkalibrige Waffe. Schon damals, vor vier Monaten, erzählte mir der Fremde, sein Leben sei bedroht; er hoffe, daß ich die Untersuchung über seinen Mord führen werde… Natürlich war mein erster Gedanke, daß ich es mit einem Verfolgungswahnsinnigen zu tun habe und ich überlegte mir, ob ich nicht die Sanitätspolizei alarmieren solle, um den Mann in die Anstalt überführen zu lassen… Außerdem fiel mir noch auf, daß der Fremde absolut Bruderschaft mit mir trinken wollte – was ich natürlich ablehnte… Ich ging dann mit ihm in die Gaststube, wurde Zeuge eines Streites: die Insassen der Armenanstalt, die in diesem Raume schnapsten, sowie einige Gartenbauschüler wollten sich an mir vergreifen, gaben das Projekt jedoch auf. Dieser Farny James schien eine gewisse Macht über die Anwesenden auszuüben. Schließlich mischte sich der Direktor der Gartenbauschule und auch der Hausvater der Armenanstalt (sie jaßten in dem Raum, den ich zuerst betreten hatte) in den Streit, beruhigten die Gemüter und schickten die Armenhäusler sowohl als auch die Gartenbauschüler schlafen. Der Wirt Brönnimann entdeckte zwei Fünfliterkannen Benzin, ich konnte mein Reservoir auffüllen und davonfahren. Hernach vergaß ich die merkwürdige Szene, bis ich vier Monate später, auf den Tag genau, am 18. November, vom Statthalter Ochsenbein aufgefordert wurde, einen geheimnisvollen Mord aufzuklären, der auf dem Friedhof von Pfründisberg passiert war…
    Auf einem frischen Hügel, in dem Frau Hungerlott-Äbi begraben war, lag die Leiche des James Farny, den ich für mich wegen seiner geschlitzten Augen stets den ›Chinesen‹ nannte. Der Mann war durch einen Herzschuß getötet worden, jedoch waren weder sein Hemd noch seine Kleidungsstücke mit Blut besudelt. Ich schloß daraus, der Tote sei an einem anderen Orte ermordet, hernach umgekleidet und hierher transportiert worden… Wichtig war für mich, festzustellen, vor wem der Tote Angst gehabt hatte. Da ich aus seinem Paß ersehen hatte, daß er aus Gampligen stammte, kamen zuerst – ich überzeugte mich, daß er reich war – seine
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