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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
Autoren: Martin Clauß
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immer schien es ihr schwer zu fallen, von sich aus mit der Sprache herauszurücken.
    „Das Ungeheuer, das Sandra gesehen hat“, meinte Margarete.
    Die Lehrerin nickte und senkte den Blick.
    „Sie sagten, niemand sonst sei ihm begegnet. Aber das ist nicht die Wahrheit, nehme ich an.“
    Wieder nickte Frau Reich, und Margarete sprach weiter: „Die anderen Kinder haben es also auch gesehen. Aber warum haben sie nichts gesagt? Sie müssen doch das Gespräch gesucht haben! Sie … Sie haben den Kindern Strafe angedroht, wenn sie darüber reden?“
    „Nein!“ Die Frau riss die Augen auf und hob protestierend die Hände. „So etwas haben wir nicht getan. Es … es waren sehr wenige Kinder, nur einzelne, über die Jahre verteilt. Diejenigen, die dieses Ding ... die es betraf, haben alle irgendwann die Schule gewechselt.“ Sie zog eine Grimasse, die alles Mögliche aussagen konnte, nur nichts Angenehmes. „Solche Sachen kommen vor. Kinder fürchten sich vor einem bestimmten Gebäude, einem Raum, einem Korridor. Wenn sie den Ort wechseln, ist das Problem gelöst. Sagt der Schulpsychologe.“
    „Ich verstehe.“ Das Ungeheuer existierte also. Es trat gerade so selten in Erscheinung, dass es von der Lehrerschaft nicht ernst genommen wurde. Vielleicht war das seine Strategie – oder es hatte andere Gründe. Bis jetzt hatte sie noch keine Hinweise darauf, was es war. Es sich als Bärenskelett in einem Bärenfell vorzustellen, widerstrebte ihr. „Sie hätten mir davon erzählen müssen.“ Margarete war kein Mensch, der anderen Leuten ständig ihre Fehler und Unterlassungen unter die Nase rieb. Doch falls Dennis’ Tod etwas mit dem Monster zu tun hatte, wäre er vielleicht zu verhindern gewesen, wenn man sich ihr früher anvertraut hätte. „Dennis wusste von dem Monster?“, fragte sie.
    „Keiner von uns hat es je gesehen. Dennis ist … war noch nicht lange hier. Aber Anfang des Jahres hat ein Junge in seiner Klasse das Monster auch gesehen.“
    „Der Junge hat die Schule gewechselt“, vermutete Margarete.
    „So ist es.“
    „Frau Reich, ist je einem Kind etwas zugestoßen, körperlich, meine ich?“
    „Nein, nie.“
    „Und das ist dann wohl auch der Grund, warum die Sache nicht ernst genommen wurde. Warum Sie mir nichts davon erzählt haben, obwohl ich Sie explizit darauf angesprochen habe.“
    Die Frau zögerte lange. „Ja“, sagte sie dann. Es klang nicht überzeugend. Sie setzte sich wieder in Bewegung, ging ein Stück, als wolle sie sich von dem Thema losreißen, doch die Dozentin von Falkengrund folgte ihr nicht.
    „Sie verheimlichen mir immer noch etwas“, stellte sie streng fest.
    „Ja“, antwortete Heidelinde Reich und blieb erneut stehen.
    „Und?“ Als die Lehrerin ihr das Gesicht zuwandte, sah Margarete Tränen in ihren Augen. Der Anblick überraschte sie. Welche Eröffnung wartete nun noch auf sie?
    „Ich habe das Gefühl“, sagte die Lehrerin, und sie würgte die Sätze beinahe hervor, wie jemand, dessen Kehle sich plötzlich verkrampfte, „dass ich viel weiß, aber nichts verstehe, gar nichts …“ Ihre letzten Worte verschwanden in einem Schluchzen. Margarete, die von Anfang an den Fehler gemacht hatte, die Frau als emotionslos und kalt einzustufen, musste einsehen, dass ihre Menschenkenntnis versagt hatte. Heidelinde Reichs frostiges Verhalten war nichts als ein Versuch gewesen, etwas vor ihrer Umwelt zu verbergen, womit sie selbst nicht klarkam.
    „Sagen Sie mir, was Sie wissen, und ich helfe Ihnen, einen Sinn darin zu finden“, schlug Margarete vor.
    „Ja“, hauchte die Frau. „Gehen wir zurück zur Schule. Ich muss Ihnen etwas zeigen.“

9
    Das Lehrerzimmer verfügte über einen stillen Nebenraum, in dem man sich ungestört unterhalten konnte. Das Zimmer war geräumig und kahl, eine leere Vase stand verloren und sinnlos in der Mitte eines großen runden Tisches, und die beiden Frauen, die zwei der sechs Stühle füllten, kamen sich ähnlich verloren vor. Heidelinde Reich hatte die riesige rote Brille abgenommen und tupfte sich mit einem Papiertaschentuch die Tränen ab. Vor Margarete lag ein schweres graues Buch, eine Art Album.
    „Schulchronik“, las die Hexe den Titel und schlug es auf. Die hinteren Seiten waren noch leer, die Chronik begann erst im Jahre 1984 – eine junge Schule, was schon die moderne, kühle Architektur nahegelegt hatte.
    „Seite sieben“, sagte die Lehrerin krächzend, und Margarete blätterte um. Auf der genannten Seite gab es das Bild eines
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