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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
Autoren: Martin Clauß
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mittelgroßen, stabil gebauten Mannes in einem gut sitzenden hellen Anzug. Er trug eine Brille und hatte kurzgeschnittenes Kraushaar. Das Lächeln auf seinem akademisch wirkenden Gesicht war eingefroren, während er darauf wartete, dass der Fotograf den Auslöser drückte. JÜRGEN A. REICH, stand in Schmuckbuchstaben darunter. 1946 – 86.
    „Ein Verwandter?“ Es war nicht nur der Name. Auch eine Ähnlichkeit war gegeben, die schmale Nase, das Haar, die Brille …
    „Mein Vater.“
    „Ihr Vater war auch Lehrer hier? Er ist jung gestorben“, bemerkte Margarete.
    Sie nickte und setzte ihre Brille wieder auf. Ihre Tränen waren versiegt, aber ihr Gesicht weigerte sich, den harten, unnahbaren Zug anzunehmen, der es vor dem Gefühlsausbruch geprägt hatte. Etwas Weiches, Mildes hatte sich um ihren Mund gelegt und hielt sich dort. „Ein Unfall. Ich war damals vierzehn. Es war furchtbar. Damals wollte ich Lehrerin werden – und dann, nach Vaters Tod, nicht mehr. Und später wollte ich es dann wieder. Ich hatte das Gefühl, ich müsse seine Stelle hier einnehmen. Wenn er noch leben würde, stünde er jetzt kurz vor der Pensionierung.“
    Margarete musste an Dennis denken, daran, dass er noch dreißig Jahre Lehrertätigkeit vor sich gehabt hätte. „Ein Unfall, sagen Sie. Wie bei Dennis also.“
    „Ja. Wie bei Herrn Harbach. Mein Vater kam auf ähnliche Weise ums Leben.“
    „Wirklich?“ Margarete betrachtete das Bild von Jürgen A. Reich eingehend, freilich, ohne irgendwelche Antworten davon zu erwarten. „Ich nehme aber nicht an, dass Ihr Herr Vater von einem Tonbandgerät erschlagen wurde …“
    Heidelinde Reiche lächelte schwach. „Nein. Er fiel von einer Mauer. Erinnern Sie sich an die Turnhalle, an der wir vorbeigekommen sind? Etwas zurückgesetzt, neben dem Sportplatz? Sie wurde etwas später gebaut als die Schule. Mein Vater besichtigte die Baustelle. Es heißt, er balancierte auf einer der unfertigen Mauern herum. Mein Vater war so ein Mann, wissen Sie. Verbotes reizte ihn nur. Er war in diesen Dingen wie ein Kind – deshalb war er so ein guter Lehrer. Seine Schüler haben ihn geliebt. Meine Schüler hassen mich. Ich bin viel zu verkrampft.“
    „Er hat das Gleichgewicht verloren?“, hakte Margarete schnell nach, um das Selbstmitleid nicht zum Zuge kommen zu lassen.
    „Eines der Kinder hat ihn erschreckt. Es hatte sich im Schatten der Mauer verborgen, und er dachte, er wäre allein. Als es brüllend hervorsprang, da …“ Sie betrachtete ihre Fingernägel. „Er stürzte ungeschickt und brach sich das Genick. Das Kind war verkleidet. Es hatte ein Bärenfell übergezogen.“ Sie betrachtete ihre Nägel und schien das Verlangen zu verspüren, an ihnen zu kauen. „Jetzt verstehen Sie vielleicht, weshalb mich die Sache mit dem Monster so nervös macht. Und alle anderen Leute, die von der Geschichte wissen, ebenfalls.“
    „Ich muss Ihnen eine Frage stellen“, sagte Margarete. „Nur, damit wir uns richtig verstehen: Das Kind, das Ihren Vater so erschreckt hat, dass er in den Tod stürzte … das waren nicht zufällig Sie selbst?“
    In ihren Augen flammte etwas auf. „Nein, das war nicht zufällig ich selbst!“
    „Sie müssen meine Frage entschuldigen.“
    Statt einer Erwiderung zeigte die Lehrerin auf die Seite neben dem Bild ihres Vaters. Dort war ein aktiv wirkender Junge mit sonnenverbranntem Gesicht abgebildet. Unter dem Foto stand MAX UNTERBERGER *1976. Mit Bleistift hatte jemand hinter den Bindestrich „bis 86?“ geschrieben.
    „Das war das Kind? Es ist ebenfalls 86 gestorben?“
    „Es ist verschwunden, unmittelbar nach der Sache mit meinem Vater. Spurlos. Deshalb ist sein Tod nicht offiziell vermerkt. Bis heute ist es nicht mehr aufgetaucht. Die gängige Meinung lautet, dass es sich das Leben genommen hat, vielleicht in einen Fluss gesprungen ist.“
    Oder jemand hat das Kind getötet und seine Leiche verschwinden lassen , tauchte für einen Moment ein bitterböser, pechschwarzer Gedanke in der Dozentin auf. Ein vierzehnjähriges Mädchen hat seinen Vater gerächt. Es war schrecklich, so etwas zu denken und der Frau dabei ins Gesicht zu sehen. Sie entschied hastig, dass Heidelinde Reich ihr das alles nicht erzählen würde, wenn sie selbst die Mörderin des Jungen war. Sie musste den Gedanken abhaken.
    Aber welche Möglichkeiten gab es sonst noch? Wie passte das alles zusammen?
    „Herr Harbach könnte von etwas erschreckt worden und gegen den Schrank geprallt sein“, meinte die
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