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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
Autoren: Martin Clauß
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tiefer.
    Im Gras lag etwas. Glücklicherweise kein Mensch.
    Ein blutüberströmtes Knäuel aus Fleisch und Haaren. Weißes Fell war zu erkennen, mit einigen braunen Strähnen. Wenn sie es einfach so in der freien Wildbahn gesehen hätte, hätte sie es für einen Hasen gesehen, auch wenn der Kopf so zerfetzt und blutbesudelt war, dass man keine charakteristischen Merkmale mehr erkennen konnte. Doch der Stall war in unmittelbarer Nähe. Und wegen eines toten Hasen hätte Wolfgang nicht solchermaßen die Fassung verloren. Widerwillig beugte sie sich vor und sah genauer hin. Die Sichtverhältnisse waren schlecht.
    Aus dem blutigen Bündel ragte etwas heraus, das ihr bekannt vorkam. Ein Halsband. Ein kleines Hundehalsband aus dickem Leder. Wie sie es vor einer halben Stunde dem Welpen angelegt hatte, auf das ihre Entscheidung gefallen war.
    „Ich hörte ein grauenhaftes Bellen aus dem Stall“, erklärte Wolfgang. „Die ganzen Hunde schienen verrückt zu spielen. Ich öffnete die Tür, um nachzusehen. Die Mutter … sie hatte sich auf eines ihrer Jungen gestürzt und war dabei, es zu zerfleischen. Ich wollte eingreifen. Für einen Moment war das Tier abgelenkt – und da sah das Kleine wohl seine Chance. Es hoppelte zur Tür hinaus, aber es war schon verwundet. Die Mutter schnappte nach mir, warf sich auf mich, stieß mich zu Boden und jagte dem Kleinen hinterher. Hier draußen erwischte sie es dann. Es konnte ihren scharfen Zähnen nicht entkommen. Als ich die Mutter packte und in den Stall zurückzerrte, war es schon zu spät. Sie war sehr gründlich in dem, was sie getan hat. Wahrscheinlich … spürte sie, dass man es ihr wegnehmen wollte, und das konnte sie nicht verwinden.“
    Katharina konnte nichts sagen. Sie konnte nicht einmal weinen oder wimmern. Ihre Kehle war ein von Rost verstopftes Rohr. Ihre Hände waren vor ihrem Bauch ineinander verkrampft, rangen miteinander, wie um sich gegenseitig die Finger zu brechen.
    „Vielleicht hätte ich es dir nicht zeigen sollen, Mutter“, sagte Wolfgang. „Aber ich fürchtete, du würdest mir nicht glauben, wenn du dich nicht mit eigenen Augen vergewissern kannst. Du solltest jetzt nicht mehr hinsehen. Es ist nicht so schlimm, wie es scheint. Noch sind fünf Welpen übrig, und sie sind alle gleichermaßen niedlich. Vielleicht wird Vater dir vorhalten, was geschehen ist – es ist gewissermaßen ein Verlust für ihn. Aber es war nicht deine Schuld. Es war ganz einfach ein dummer, unglücklicher Zufall.“
    „Sei still“, krächzte sie, und ihre Kehle schien unter den Worten zu zerbrechen.
    Sie drehte sich von dem schrecklich zugerichteten Tier weg. Jemand war in ihrem Magen mit einer stumpfen Gegenstand zugange, fuhr wild und rücksichtslos damit herum, bis sie fürchtete, sich übergeben zu müssen.
    Außer ihnen beiden befand sich niemand vor dem Haus. Wo war der verfluchte Stallknecht? Hatte er nicht dafür sorgen können, dass es nicht dazu kam? Eugen und sie – sie hatten ja keine Ahnung von Hunden, wussten nicht, dass solche Dinge überhaupt geschehen konnten.
    Eugens Worte kamen ihr in den Sinn: „Ich kann Tiere ganz ordentlich malen, aber damit erschöpft sich mein Wissen über sie.“ Was er wohl in dieser Situation als Motiv wählen würde? Die hässlichen Überreste des munteren kleinen Hundes im Gras, solange das Blut noch glänzte, oder die Szene, wie seine Mutter ihn zu Tode gebissen hatte? Ein trockenes Schluchzen bröckelte von ihren Lippen. Nein, nein! Natürlich würde er nichts von beidem malen, sondern den Welpen, als er noch lebendig gewesen war, als seine Mutter ihn noch liebkost und beschützt hatte.
    Leben und Tod. Wie schnell sich das eine ins andere verwandeln konnte, doch immer nur in diese eine Richtung! Leben zu Tod, Leben zu Tod, Leben zu Tod, immer dasselbe törichte Treiben, wie ein Spiel, bei dem immer derselbe Spieler den Sieg davontrug …
    „Das Bankett“, meldete sich Wolfgang in ihre Trauer hinein. „Du musst dich vorbereiten, Mutter. Tu es. Es wird dich ablenken.“
    Wenn die furchtbare Sache eine Sonnenseite hatte, eine winzig kleine, dann war es, dass Wolfgang Anstalten machte, sie zu trösten. Er tat es auf die für ihn typische, grobe, ungeschickte Weise, aber immerhin schien sie ihm leid zu tun. Seine Feinfühligkeit ließ zu wünschen übrig, aber er blieb bei ihr stehen, eilte nicht weg, obwohl er gewiss anderes zu tun hatte, jetzt, wo die große Feier bevorstand (und sei es nur, dass er in der Küche aus den Töpfen
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