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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
Autoren: Martin Clauß
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naschte, wie er es jedes Mal tat). Und er nannte sie Mutter. Immer wieder. Es war erstaunlich, wie sehr sie das tröstete, nun, wo sie darüber nachdachte. Zu lange waren sie wie Fremde gewesen, wie Feinde manchmal, und wenn dies der Moment sein sollte, an dem sie endlich – endlich! – zusammenzuwachsen begannen, dann musste sie dem Himmel wohl dankbar dafür sein, dass das Grauenhafte passiert war.
    Widersprüchliche Gefühle wühlten in ihr. Vielleicht hatten diese Gefühle damit zu tun, dass sie noch nicht ins Haus zurückkehren wollte. Lieber wollte sie noch ein bisschen hier draußen bleiben, umhergehen, beobachten, wie sich die Nacht herabsenkte und die Sterne hervorkamen. Die Wolken, die den ganzen Tag über in dicken, klumpigen Gruppen vor der Sonne vorbeigezogen waren, hatten sich nämlich verzogen. Ein beinahe grünlicher Mond stand am Himmel, und der Polarstern begann aus dem blauen Zelt hervorzustechen.
    „Du kannst hineingehen“, sagte Katharina zu ihrem Stiefsohn. „Ich bleibe noch ein paar Minuten, dann komme ich nach.“
    Wolfgang berührte sie leicht an der Schulter, wie um ihr seinen Trost auszusprechen, und verschwand dann im Schloss. Eben ging wohl jemand in der Halle herum und zündete Lichter an, denn der Schein der Lampen fiel in einem Schritt für Schritt heller werdenden Rechteck auf den Boden vor der Tür. Katharina ging ein paar Schritte in die andere Richtung. Eine Gänsehaut lief über ihren Rücken, als sie die Stallungen passierte. Zuerst wollte sie den Holzbau schnell hinter sich bringen, vielleicht um das Schloss herumgehen, dann hielt sie inne.
    Ihr fiel etwas auf. Im Stall war es erstaunlich still. Hatte sich die Aufregung so schnell gelegt? War die Mutter, die ihr eigenes Junges getötet hatte, so rasch zur Ruhe gekommen? Waren die anderen Hunde durch das Geschehen nicht beunruhigt worden? Und die Pferde?
    Und noch etwas: Sie hatte kein Hundegebell gehört, und das, obwohl das Zimmer, in dem sie sich wusch und umkleidete, zur Frontseite hin lag und der Stall keine hundert Meter vom Schloss entfernt war. Selbst durch das geschlossene Fenster hindurch hätte sie es hören müssen, wenn es tatsächlich zu dem Tumult gekommen wäre, den Wolfgang beschrieben hatte.
    War sie mit den Gedanken so weit weg gewesen, dass sie nichts mitbekam? Sie hatte heute schon einmal einen Menschen – Eugen – beinahe übersehen, weil ihre Probleme sie vollkommen in Anspruch genommen hatten.
    Sie musste Klarheit darüber bekommen. Zwar hatte sie nicht den Eindruck, dass Wolfgang sie belog. Andererseits wäre es nicht das erste Mal gewesen. Beileibe nicht …
    Katharina machte kehrt und ging zu den Stallungen. Der flache Bau schien sich alle Mühe zu geben, mit der Dämmerung zu verschmelzen, doch noch war es nicht völlig dunkel. Hatte es sie vorhin schon Überwindung gekostet, den Ort alleine zu betreten, gehörte nun noch mehr Überwindung dazu, sich in das Reich der Hunde zu wagen. Bei diesen Lichtverhältnissen. Nach dem, was vorgefallen war.
    Würde die Mutter des Hundes nicht auch sie anfallen? Zuvor hatte das Tier einen sehr gelassenen Eindruck gemacht, doch wer vermochte schon zu sagen, was in den Köpfen dieser Geschöpfe vor sich ging? „Ich könnte sie nicht einmal malen“ , hatte Katharina zu Eugen gesagt.
    Neben dem Eingang hing an einem krummen Nagel eine Laterne, in der eine winzige Flamme brannte. Katharina nahm sie herab und drehte das Petroleum auf. Die Flamme wuchs und strahlte einen unsteten Schein ab.
    Als die Frau die Tür öffnete und das gelbe Licht in den Raum sprang, war aus der Tiefe des Stalles aufgeregtes Atmen zu hören, Schnauben und leises Knurren aus mehreren Kehlen. Ein Hund bellte dumpf, nur ein einziges Mal.
    Köpfe ruckten aus den Schatten, Lederriemen spannten sich, und Metallteile, die an den Leinen und Halsbändern befestigt waren, klackten leise, wenn die Tiere sich an den Wänden der Boxen rieben. Kreisförmige Lichter glühten ihr aus dem Dunkel entgegen, die Reflexionen des Lampenscheins in den weit aufgerissenen Hundeaugen. Der Geruch war jetzt noch deutlicher wahrzunehmen als zuvor. Es war kein unerträglicher, Übelkeit erregender Gestank, wie man ihn in Schafställen antreffen mochte, sondern ein dichter, organischer Geruch, beinahe wie menschlicher Schweiß. Katharina schüttelte sich, und das Flackern der Lampe, das damit einherging, provozierte neue Unruhe, neues Knurren.
    Niedrige Schemen wimmelten durcheinander, und einige davon waren nicht
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