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Der blonde Vampir

Der blonde Vampir

Titel: Der blonde Vampir
Autoren: Christopher Pike
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betreten?« fragt er.
»Ich würde Pluto vorziehen. Er ist weiter von der Sonne entfernt, weißt du, und das ist für einen Vampir entschieden angenehmer.«
»Hast du gelitten, als Cleo starb?«
Ich lächle, obwohl ich spüre, wie meine Augen feucht werden. »Nein. Er lebte das Leben, das er sich wünschte. Wenn er länger gelebt hätte, wäre es ihm eines Tages zu langweilig geworden.«
»Das verstehe ich.«
»Gut«, sage ich.
Aber ich weiß, daß Ray es nicht wirklich versteht. Er ahnt nicht, daß meine Tränen nicht für Cleo sind. Ich weine um mein langes Leben, die Gesamtheit aller Erlebnisse, die Menschen, mit denen und die Orte, an denen ich gelebt habe. Und dieses farbenprächtige Buch soll jetzt für immer geschlossen werden! Ich weine um all die Geschichten, die ich Seymour und Ray nie werde erzählen können. Ich weine um den Eid, den ich gebrochen habe. Ich weine um Yaksha und die Liebe, die ich ihm nie geben konnte. Und am meisten weine ich um meine eigene Seele, denn obwohl ich jetzt weiß, daß es einen Gott gibt und daß ich ihm einst sogar begegnet bin, muß ich mich doch fragen, ob er mich mit einer unsterblichen Seele beschenkt hat – oder ob meine Seele sterben wird, sobald auch mein Körper stirbt. Wird die letzte Seite des Buches umgeblättert werden, und alles ist plötzlich vorbei?
Draußen wird es noch dunkler.
Und auch in mir brennt kein Licht, das hell genug wäre, diese Dunkelheit zu erleuchten.
»Er kommt«, sage ich.
    13.
KAPITEL
    Er klopft an die Tür. Ich fordere ihn auf, einzutreten. Er betritt das Haus allein, ganz in Schwarz gekleidet. Er trägt ein Cape, einen Hut – seine Erscheinung raubt mir den Atem. Er nickt, und ich bedeute ihm, auf dem Stuhl gegenüber Platz zu nehmen. Er hat seine Flöte nicht mitgebracht. Er sitzt auf dem Stuhl nahe der Kiste mit Dynamit und lächelt uns an. Aber es ist kein freudiges Lächeln, und ich glaube, er bedauert wirklich, was passieren wird. Draußen, hinter den zersplitterten Scheiben, durchbricht zaghaft ein erstes Licht die Dunkelheit. Ray sitzt schweigend da und starrt unseren Besuch an. Es bleibt mir überlassen, endlich zu reden.
    »Bist du glücklich?« frage ich.
    »Es gab Zeiten, da war ich es«, antwortet Yaksha. »Aber das ist schon lange her.«
»Aber du hast erreicht, was du wolltest«, beharre ich. »Ich habe meinen Schwur gebrochen. Ich habe ein weiteres elendes Wesen erschaffen, ein Wesen der Art, die du zu zerstören geschworen hast.«
»Mein einziger Wunsch in diesen Tagen ist es, endlich Ruhe zu finden, Sita.«
»Das wünsche auch ich mir.«
Er runzelt die Stirn. »Du sagtest, daß du weiterleben willst.«
»Ich hoffe sehr, daß es für mich ein Leben nach dem Tod geben wird. Und ich denke, daß auch du das für dich hoffst. Aus welchem anderen Grund solltest du all das hier tun?«
»Du hast mich schon immer durchschaut.«
»Vielen Dank.«
Yaksha zögert. »Willst du noch etwas sagen?«
»Ja. Kann ich mir aussuchen, wie ich sterben will?«
»Möchtest du mit mir zusammen sterben?«
»Natürlich«, sage ich.
Yaksha nickt. »Das ist auch mir lieber.« Er blickt auf die Kiste Dynamit neben seinem Stuhl. »Du hast also eine Bombe für uns besorgt. Ich mag Bomben.«
»Das weiß ich. Du kannst sie zünden, wenn du willst. Siehst du die Sicherung dort und den Zünder daran? Trau dich, alter Freund. Wir werden zusammen in die Luft gehen.« Ich beuge mich zu ihm vor. »Vielleicht hätten wir das schon vor langer Zeit tun sollen.«
Yaksha berührt die Zündung und sieht dann Ray an. »Wie fühlen Sie sich, junger Mann?«
»Reichlich merkwürdig.«
»Ich würde Sie aus der Sache rauslassen, wenn ich könnte«, erklärt Yaksha. »Ich würde Sie beide in Ruhe lassen. Aber das Ganze muß irgendwann ein Ende haben, so oder so.«
So habe ich Yaksha noch nie erlebt. Bisher hat er es nie für nötig befunden, sein Verhalten zu erklären.
»Sita hat mir Ihre Gründe genannt«, sagt Ray.
»Ihr Vater ist tot«, erklärt Yaksha.
»Ich weiß.«
Yaksha schiebt seinen Daumen unter die Zündung und starrt sie an. »Ich habe Ihren Vater nie kennengelernt.«
»Ich bin ihm einmal begegnet«, sage ich. »Ein unangenehmer Zeitgenosse. Wirst du es tun, Yaksha, oder soll ich es erledigen?«
»Hast du es so eilig zu sterben?« fragt Yaksha.
»Ich bin eben ein ungeduldiger Typ«, erwidere ich ironisch.
Er nickt und setzt mit einer Kerze die Zündschnur in Brand. Sie beginnt zu knistern und wird zusehends kürzer. In drei Minuten wird sie ganz abgebrannt sein.
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