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Der blonde Vampir

Der blonde Vampir

Titel: Der blonde Vampir
Autoren: Christopher Pike
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kennt ihn nicht, aber er war nicht weniger brillant als andere.« Meine Stimme versagt einen Augenblick lang. »Er hat mir viel bedeutet. Ich habe lange Jahre mit ihm gelebt.«
»Wußte er, daß du eine Vampirin bist?«
Ich lache. »Er dachte, ich sei eine Hexe. Aber er mochte Hexen.« »Erzähl mir von ihm«, fordert Ray mich auf.
»Ich lernte Cleo zu Sokrates Lebzeiten kennen. Ich war gerade nach mehrjähriger Abwesenheit nach Griechenland zurückgekehrt. So mache ich es immer. Ich bleibe stets nur für ein paar Jahre an einem Ort, so daß den Leuten meine ewige Jugend nicht auffällt. Als ich damals nach Athen zurückkehrte, erinnerte sich niemand an mich. Cleo war einer der ersten, die ich traf. Ich ging im Wald spazieren und sah, wie er dort bei einer Geburt half. Damals war so etwas völlig unüblich. Nur Frauen waren bei einer Geburt anwesend. Cleo war blutverschmiert und hatte alle Hände voll zu tun, doch ich spürte sofort, daß er mich mochte. Er fragte mich, ob ich ihm helfen könne, was ich auch tat, und als das Kind geboren war, legte er es der Mutter in die Arme, und wir beide machten einen Spaziergang. Er erzählte mir, daß er eine Methode gefunden hatte, welche die Geburt vereinfachte, und diese Methode wolle er testen. Er gab außerdem zu, daß er der Vater des soeben geborenen Babys war, aber das hatte keine besondere Bedeutung für ihn.
Cleo war ein großer Arzt, aber seine Zeitgenossen haben das nie erkannt. Er war seiner Zeit voraus. Er entwickelte die Technik des Kaiserschnitts weiter. Er experimentierte mit Magneten und ihrer Wirkung auf kranke Organe; der positive Pol des Magnets stimulierte das Organ, während der negative es gleichzeitig beruhigte. Er setzte gezielt die Aromen verschiedener Pflanzen ein, um eine Wirkung auf den menschlichen Organismus zu erzielen. Und er war der erste Chiropraktiker. Er richtete die Wirbel und Gelenke der Menschen, renkte ihre Nacken und Rücken wieder ein. Einmal versuchte er sogar, meine Halswirbel wieder einzurenken, und verstauchte sich dabei beide Handgelenke. Ich mochte ihn wirklich sehr.«
Ich berichte weiter über meine Bekanntschaft mit Cleo und erzähle auch von seiner schicksalhaften Leidenschaft: Er liebte es, die Frauen der mächtigsten Männer Athens zu verführen. Ich lasse nicht aus, wie man ihn schließlich mit der Frau eines bedeutenden Generals im Bett erwischte. Man schlug ihm den Kopf ab, doch er starb mit einem Lächeln auf den Lippen. Alle Frauen Athens weinten um ihn. Wundervoller Cleo.
Dann erzähle ich von meinem Leben als englische Herzogin im Mittelalter. Wie es war, in einer Burg zu leben. Meine Worte bringen die Erinnerungen zurück. Die zugigen, kalten Räume. Die Steinwände. Die flackernden Feuer, die unglaublich schwarzen Nächte. Der Name, den ich zu der Zeit trug, war Melissa. In den Sommern ritt ich auf meinem Schimmel über Land und freute mich über die Avancen, welche mir die Ritter in ihren schimmernden Rüstungen machten. Einigen der Ritter schenkte ich meine Gunst, was diese danach stets bitter bereuten.
Viel später, während des amerikanischen Bürgerkrieges, verbrachte ich einige Jahre in den Südstaaten. Ich erlebte das Morden und Brandschatzen der Yankees an den Ufern des Mississippi. Ein bitterer Ton stiehlt sich plötzlich in meine Stimme, aber ich verschweige Ray den Grund dafür. Ich verschweige ihm, wie mich ein Bataillon von zwanzig Soldaten entführte, wie sie ein Seil um meinen Hals banden, ich vor ihnen durch den Sumpf kriechen mußte, während sie sich laut grölend darüber unterhielten, was sie alles mit mir anstellen würden. Ich will Ray keine Furcht einjagen, und so verschweige ich ihm, wie diese Männer einer nach dem anderen starben, wie qualvoll sie schrien, während sie versuchten, aus den Sümpfen zu fliehen – und den zarten, weißen Händen zu entkommen, die ihnen Arme und Beine abrissen und erst dann, nachdem sie schon eine Weile gelitten hatten, endlich ein Ende bereiteten, indem sie ihnen den Schädel zertrümmerten.
Als letztes erzähle ich Ray von meiner Zeit in Cape Canaveral, der Zeit, als Apollo II zum Mond flog. Wie stolz war ich damals auf die Menschheit, die zum erstenmal seit Jahrtausenden wieder ihre alte Abenteuerlust entdeckt hatte. Ich erzähle es so, wie ich es damals erlebt hatte, und Ray lauscht aufmerksam meinen Erinnerungen. Sie lassen ihn vergessen, was uns beide erwartet, das stelle ich erleichtert fest.
»Hast du dir je gewünscht, eines Tages selbst den Mond zu
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