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Der blonde Vampir

Der blonde Vampir

Titel: Der blonde Vampir
Autoren: Christopher Pike
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Yaksha lehnt sich auf seinem Stuhl zurück.
»Als ich heute nacht am Ozean entlangwanderte, hatte ich einen Traum«, sagt er. »Während ich dem Lied der Wellen zuhörte, schien es mir, als betrete ich eine neue Dimension. Eine Dimension, in der das Wasser eine Melodie singt, die nie zuvor jemand gehört hat. Eine Melodie, welche die gesamte Schöpfung erklärt. Aber der eigentliche Zauber der Melodie bestand darin, daß niemand sie wirklich begreifen konnte. Sollte dies eines Tages doch geschehen, sollte die Wahrheit ans Licht kommen, würde der Zauber zerstört werden. Und genau das geschah in meinem Traum. Ich betrat diese Welt des Wassers. Ich zerstörte das Leben, welches es erschaffen hatte, und dann plötzlich erwachte ich und erkannte, daß alles nur ein Lied gewesen war. Ich hatte einem Lied gelauscht. Einem traurigen Lied.«
»Das jemand auf einer Flöte spielte?«
Die Zündschnur brennt weiter.
Yakshas Traum berührt mich tief.
»Vielleicht war es eine Flöte«, sagte Yaksha. »In meinem Traum verschwand der Ozean, zog sich mehr und mehr zurück, trocknete aus. Ich wanderte durch eine rote, staubige Ebene. Der Boden war so rot, als ob vor langer Zeit Blut darauf geflossen wäre und die Sonne es in die Erde eingebrannt hätte.«
»Was bedeutet dieser Traum?« frage ich.
»Ich hatte gehofft, daß du es mir sagen könntest, Sita.«
»Was soll ich dir sagen? Woher soll ich wissen, was in deinem Kopf vorgeht?«
»Das gleiche wie in deinem.«
»Nein.«
»Doch. Woher sollte ich sonst wissen, was du denkst?«
Ich zittere. Seine Stimme klingt plötzlich so anders. Er spürt alles, was um ihn herum vorgeht. Ich war ein Narr zu glauben, daß ich ihn hereinlegen könnte. Doch noch immer greife ich nicht nach dem Metallstab, der die Bombe zündet. Ich spiele noch immer den Narren. Beginne wieder zu reden.
»Vielleicht bedeutet dein Traum, daß, wenn wir auf der Erde bleiben und uns wieder vermehren, eines Tages alles einsam und wüst sein wird.«
»Wie sollten wir uns zum jetzigen Zeitpunkt noch vermehren?« fragt er. »Ich habe dir doch gesagt, daß du keine Kinder haben kannst. Auch Krishna hat es dir gesagt.« Jetzt beugt er sich vor. »Was noch hat er dir gesagt, Sita?«
»Nichts.«
»Du lügst.«
»Nein.«
»Doch.« Mit seiner linken Hand berührt er die Zündschnur, seine Finger schließen sich um die Funken, als wolle er das Feuer löschen. Doch er tut es nicht. »Du kannst mich nicht hereinlegen.«
»Wie sollte ich das versuchen, Yaksha?«
»Du wartest nicht auf den Tod. Ich sehe es in deinen Augen.«
»Wirklich?«
»Sie sehen nicht aus wie meine Augen.«
»Du bist ein Vampir«, sage ich. Beiläufig, als würde ich mich rekeln, lasse ich meine Hand zur Lampe gleiten. »Du kannst nicht in den Spiegel schauen. Wenn du hineinblickst, siehst du nichts darin. Wie willst du wissen, wie deine Augen aussehen?« Natürlich sage ich das nicht ernst. Es soll wie ein Scherz wirken, und ich lache.
Er lächelt ebenfalls. »Ich bin froh zu sehen, daß die Jahre deinem Witz nichts anhaben konnten. Ich hoffe, sie haben auch deine Vernunft nicht zerstört. Du bist schnell. Aber ich bin schneller. Du kannst nichts tun, was ich nicht verhindern könnte.« Er seufzte. »Ich schlage vor, du brichst die Sache ab.«
Meine Hand erstarrt mitten in der Bewegung. Verdammt! Er weiß alles, natürlich weiß er alles!
»Ich kann mich nicht erinnern, was er noch gesagt hat«, erkläre ich.
»Du hast ein ausgezeichnetes Gedächtnis, genau wie ich.«
»Dann sag du mir, was er gesagt hat.«
»Das kann ich nicht. Er hat es dir ins Ohr geflüstert. Er hat es getan, damit ich es nicht höre. Er wußte, daß ich lausche, obwohl ich auf dem Boden lag und mein Körper vollgepumpt war mit Gift. Ja, ich habe deinen Schwur gehört, Sita. Aber er wollte nicht, daß ich seine letzten Worte höre. Er hatte gewiß seine Gründe, aber seitdem ist viel Zeit vergangen. Wir beide werden in wenigen Sekunden sterben. Hast du ihm noch einen zweiten Schwur geleistet?«
Die Zündschnur brennt weiter.
»Nein.«
Yaksha lehnt sich zurück. »Hat er dir etwas über mich gesagt?«
Die Zündschnur wird immer kürzer.
»Nein!«
»Warum beantwortest du nicht meine Frage?«
Plötzlich bricht die Wahrheit aus mir heraus. Ich habe zu lange geschwiegen. »Weil ich dich hasse!«
»Warum?«
»Weil du mir alles gestohlen hast, was mir etwas bedeutet hat: Rama und Lalita. Du hast es mir damals gestohlen, und du stiehlst es mir jetzt, da ich wieder jemanden gefunden habe, den ich
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