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Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal
Autoren: Ephraim Kishon
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seine feiertäglich gewandeten Bauern zu jenen geordneten Reihen, die wütenden Demonstranten entsprechen. Hier traf Ofer auf den Widerstand der meisten Teilnehmer, sich zusammen mit den >Dreitürniks< aufzustellen, die automatisch mitgekommen waren. Die Bauern behaupteten, daß sie, die Steuerfreien, sich nicht mit den Unberührbaren vermischen würden, nicht nur, um ungeschriebener sozialer Gesetze willen, sondern auch, weil die >Dreitürniks< im Lauf der Zeit verarmt waren und ihre armselige Gewandung der Gelegenheit nicht angepaßt war. Dem Schneider gelang es jedoch, die heikle Situation unter Kontrolle zu halten. Er erklärte den Steuerfreien, daß die >Dreitürniks< zu dem einzigen Zweck mit eingesetzt wurden, um die schweren Schilderpfosten zu tragen; das sprach ihren Verstand und ihre Herzen an.
    Bevor sich die höchst eindrucksvolle Prozession auf ihren Weg begab, schenkte der Schneider den Kämpfern etwas verbale Ermutigung.
    »Wir haben absolut verläßliche Berichte«, begann er, »daß der kahle Barbier plant, jeden Augenblick den fünften Pfosten aufzustellen, trotz dagegenstehender Warnungen! Deshalb werden wir jetzt durch die Dorfstraße marschieren und diesen Schurken daran erinnern - durch den Krach, den wir beim Zertrümmern aller Fensterscheiben machen -, was für ein Schicksal Verräter erwartet! Außerdem: Ich fühle mich verpflichtet, meine Herren, Sie darauf hinzuweisen, daß dieser Protestmarsch etwas sehr Gefährliches ist. Wer Angst hat, soll hierbleiben, um die anderen nicht zu stören. Vorwärts, marsch!«
    Zum Ruhm des Dorfes sei es gesagt, daß von der ganzen großen Menge nicht einer die Reihen im Stich ließ, mit Ausnahme des Schneiders, der neben dem Lagerhaus stehenblieb, um die Demonstranten nicht zu stören. Sein Blick folgte der Prozession von hier aus.
    Der Massenaufmarsch begann sehr nett. Die Dörfler kamen aus den Häusern, erstaunt über die Gewaltigkeit des schönen Anblicks mehrerer Dutzend feierlicher Bauern, die in fast ordentlicher, aber äußerst steifer Haltung auf die Behausung des Barbiers zumarschierten und unter der Leitung des Brunnenwärters unaufhörlich brüllten:
    »Nieder mit Fünf! Nieder mit dem kahlen Barbier, dem Säulenheiligen! Nieder mit dem Barbier Fünf!«
    Die Stimmung der Demonstranten war wirklich gut, aber dem kahlen Barbier gelang es, rechtzeitig alle seine Fensterläden zu versperren und es damit unmöglich zu machen, was der interessanteste Teil des Protestmarsches zu werden versprach. Aber die Leute waren nicht bereit, so leicht aufzugeben, besonders nicht, solange ihnen die Worte des Schneiders über das Schicksal der Fensterscheiben noch in den ohren klirrten. Als die Demonstration den Rand des Dorfes erreicht hatte, klaubten die Demonstranten Steine mittlerer Größe von der
    Straße auf und zerschmissen jede einzelne Fensterscheibe im Haus des Schuhflickers, um den kahlen Barbier daran zu erinnern, >was für ein Schicksal Verräter erwartet<.
    Die stürmische Tat, so glorreich in ihrer Massenbarbarei, verfehlte nicht ihr Ziel. Der Barbier, der die ganze Zeit neben der Tür seines Ladens stand und alles durch die Spalten seiner Fensterläden mitangesehen hatte, flüsterte seiner Frau zu:
    »Zum erstenmal dämmert mir, was hier vorgeht: sie glauben, daß ich eine fünfte Säule aufrichten will, wobei ich keine Ahnung habe, was ich mit den ersten vier machen soll! Ich sage dir, die sind alle geistig zurückgeblieben! Eine fünfte Säule! Wozu? Was für eine idiotische Idee, Madame!«
    Um also keine Zeit zu verlieren, verließ der Bürgermeister seine Festung durch ein Loch in dem ausgebrannten Hinterflügel. Er schlich durch die Gärten zu dem Haus des Bauunternehmers, der einer seiner Anhänger war. Am Schluß ihrer Konferenz stahlen sich beide mitten in der Nacht zum Gemeindeamt, rückten die Schreibtische beiseite und errichteten in der Mitte des Fußbodens, genau mitten zwischen den vier Betonsäulen - eine Verschalung für einen fünften Pfosten, in die sie Zement gossen.
    Neben der frischen fünften Säule schritt der Gemeindewächter mit einem riesigen Knüppel in der Hand auf und ab. Das setzte den Behauptungen ein für allemal ein Ende, daß der Wächter fürs Nichtstun bezahlt werde.
    Am nächsten Morgen lief Salman Hassidoff heftigen Schritts zur Eisentür und tobte den Ingenieur an:
    »Sagen Sie, Dulnikker, wozu füttere ich Sie eigentlich, wenn der hinkende Schuhflicker uns immer einen Schritt voraus ist?«
    Das war richtig.
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