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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück
Autoren: Arjan Visser
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beim Reden verwandelt sich ihre Frage in eine Feststellung. Zu ihrer Zufriedenheit bestätige ich ihre Aussage: »Deine Oma und ich waren verrückt nach einander.«
    Das ist übertrieben, ich weiß, aber ich schenke dem Mädchen gern diese Worte, weil das, was ich ihr jetzt erzählen muss, bei Weitem nicht so schön ist.
    »Eine Woche später haben wir uns, wie vereinbart, auf dem Platz vor dem Centraal Station getroffen. Dort ist alles schiefgegangen.« Der Schuss, der Sturz, meine Flucht. Ich hatte an niemanden gedacht. Wie ein Tier vor dem Feuer war ich einfach weggerannt.
    »Sie wollten überleben«, sagt Sonja, »dafür brauchen Sie sich nicht zu schämen.«
    »Aber ich habe deiner Oma erzählt, dass ich kämpfen würde.«
    Sie zuckt die Achseln.
    »Ich habe sie einfach da liegen lassen. Die Beinprothese …«
    »Das ist nicht Ihre Schuld. Sie haben sie doch nicht niedergeschossen?«
    »Nein.«
    Ich strecke die Hand aus, sie gibt mir den Umschlag. »Und am Ende ist doch alles gut ausgegangen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, später, mit dem Geld.«
    Ich lege die Stirn in Falten.
    Sonja wird rot. »Ich dachte, Sie wüssten …«
    Vielleicht sollte ich mir erst einmal anhören, was sie weiß. Ich lächele, sage ihr, sie solle bitte weitererzählen.
    »Meine Großmutter hat mir einmal gesagt, dass ein paar Jahre nach der Befreiung eine große Summe auf ihr Konto eingezahlt wurde.«
    »Wusste sie, von wem?«
    »Nein, aber sie hatte eine Vermutung. Das Geld war ihr von einem gewissen Brander überwiesen worden.«
    Catharina, kleine Detektivin! Ja. Sprich weiter.
    »Ich weiß nicht, ob sie mit ihm gesprochen oder ihm einen Brief geschrieben hat, aber jedenfalls hat sie herausgefunden, dass er von einem alten Bekannten aus Kriegszeiten beauftragt worden war. Er hat behauptet, dessen Namen nicht zu kennen. So in etwa ging die Geschichte, glaube ich.«
    Gut gemacht, Brander.
    »Opa wollte wissen, wer dieser alte Bekannte war, aber meine Oma sagte, er solle sich einfach nur freuen, dass jemand ihnen mit diesem Geschenk das Leben gerettet habe. Er brauche nicht mehr bei der Straßenbahn zu arbeiten, und außerdem: Wollte er nicht immer schon ein Hotel besitzen? Das wäre jetzt alles möglich, wahrscheinlich dank eines Jungen aus dem Widerstand. Mein Opa mochte keine Geheimniskrämerei, aber Geschichten über den Widerstand mochte er noch viel weniger, also …«
    Stopp mal, das erzählst du ganz falsch!
    »Was hat der Widerstand denn damit zu tun?«
    »Einer aus dieser Gruppe war in Israel ziemlich reich geworden. Oma Kat glaubte, dass das Geld möglicherweise von ihm war.«
    Nein …
    »Warum hätte er ihr Geld schicken sollen?«
    Nicht er. Ich!
    »Weil er sich schuldig fühlte, glaube ich, denn an dem Tag – der, von dem Sie mir gerade erzählt haben – hätte er als … wie nannte sie das noch gleich? Als Hintermann oder so da sein sollen, um euch zu beschützen.«
    Ich drehe mich um, stecke den Kopf in die Höhle der Vergangenheit und rufe, jemand müsse herkommen und das richtigstellen, sagen, dass das ganz anders gewesen sei, dass ich später dafür gesorgt hätte, dass es Catharina an nichts mangelte, ich und kein anderer, doch ich höre bloß einen lang gezogenen Schrei: das Echo meiner letzten Worte.
    Ich spüre Hände an meiner Stirn, Wasser in meiner Kehle. Eine Brise beschwichtigender Wörter zieht über mein Gesicht hinweg.

53
    »Nicht erschrecken, Jacobson, ich bin’s bloß.«
    »Was hast du denn hier zu suchen?«
    »Dachtest du etwa, du bist mich schon los? Ich wollte dir hinterherwinken. Du verabschiedest dich doch bald?«
    »Ich bin immer unterwegs. Männer müssen in Bewegung bleiben. ›Bleiben Sie in Bewegung‹, sagt Vicky. Weißt du noch? Kopf, Körper, Kopf.«
    »Jumping Jonah. Ja, ich sehe dich noch durch den Ring tänzeln. Auf deiner Hose waren zwei J aufgestickt. Du warst deiner Zeit weit voraus!«
    »Und du hast dich ganz schön geschickt durchlaviert, du Schuft! Ich hätte die größte Lust, dir eins in die Fresse zu geben … Du hast wohl Angst vor mir? Ja, was? Diesen Blick kenne ich. Derselbe wie auf dem Markt, kurz bevor ich dich knock-out geschlagen habe. Im Bruchteil einer Sekunde habe ich das damals erkannt, deshalb habe ich mich zurückgehalten. Aber jetzt, wo du hier vor mir stehst, mit denselben vor Angst weit aufgerissenen Augen, frage ich mich, ob ich dir damals nicht besser einen Hieb auf die Nieren hätte verpassen sollen. Vielleicht wärst du dann nicht auf die Idee
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