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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück
Autoren: Arjan Visser
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verspreche ich ihr, wiederzukommen, nicht im Schlafanzug und auch nicht auf den Mund gefallen. Das hier kann man vergessen.

52
    »Ich hab ja gar nicht gewusst, dass es auf der Straße so ruhig sein kann, mitten in der Nacht.«
    »Sie haben Glück«, sagt die Krankenschwester, »mit Ihrem Zimmer nach Westen. Die Van de Boechorststraat ist ruhiger als die De Boelelaan.«
    »In der Stadt, meine ich. Wir sind überall glatt durchgekommen.«
    Ich will bloß einen Schwatz halten, es ist nicht schlimm, dass sie keine Zeit dafür hat, doch mich stört, wie sie lacht und wie sie mit dem Waschlappen über mein Gesicht rubbelt, schnell und grob, als wäre ich unartig gewesen.
    »Bleiben Sie heute mal wach, Meneer Jacobson? Mit Ihrem Schnarchen vertreiben Sie Ihre Besucher alle.«
    »Ich werde mir Mühe geben«, sage ich.
    Während die Krankenschwester summend ihre Aufgaben erledigt, denke ich über meine nächtlichen Erlebnisse nach. Später, wenn Sonja da ist, muss ich alles parat haben; ich mag alt und krank sein, aber ernst genommen werden möchte ich schon.
    Fabelhaft, wie sie langsam Gestalt annimmt – wie bei einem Polaroidfoto. »Bist du schon lange da?«
    »Nein, nein.«
    Das sagt sie natürlich nur so.
    »Weißt du, was ich ärgerlich finde?«, sage ich. »Dass ich Sachen verliere und vergesse. Ich weiß zum Beispiel nicht mehr, wie mein Besuch bei deiner Oma ausgegangen ist.«
    »Sie waren bei meiner Großmutter?«
    »Ja. Das Einzige, woran ich mich noch erinnern kann, ist die Fahrt zum Altersheim und der Moment, als ich sie im Rollstuhl sitzen sah. Ich verstehe eigentlich nicht, wie ich mitten in der Nacht, einfach so, von hier weggekommen bin …«
    »Nein«, antwortet Sonja, »das verstehe ich auch nicht.«
    Ich sehe, dass sie sich amüsiert. Bis zu einem gewissen Grad finde ich es ja selbst auch lustig.
    Wie ich so ohne Mantel dastand und Kat den Brief nicht geben konnte. Wenn ich daran denke, was ich ihr geschrieben habe und ihr nicht sagen konnte, reagiert mein Herz umgehend. Ich spüre Schmerzen, die ich zu ertragen versuche, indem ich die Augen zusammenkneife. Ihre Stimme, die von Catharinas Enkelin, plätschert besänftigend weiter.
    Sie erzählt mir, was sie sich vorgenommen hat, jetzt, da ihr Mann, wie es aussieht, endgültig verschwunden ist.
    »Er ist weg.«
    Ich bin froh. Für sie. Und für mich: Manche Erinnerungen sind rein und richtig. Es stimmt also. Kaptein gibt es.
    »Ich kann von vorn anfangen.«
    Sie glaube, dass sie diese Kehrtwende in ihrem Leben mir zu verdanken habe, sagt sie.
    »Wenn Sie nicht hier gewesen wären«, setzt sie an und verliert sich dann in einer Geschichte über Karma und Chakras, ich verstehe kein Wort. Erst als sie mich einen Engel nennt, unterbreche ich sie und sage ihr, ich hätte auch einmal ein Mädchen sitzen lassen. Ich ging davon aus, dass sie wüsste, wen ich meine,aber sie sieht mich doch ziemlich überrascht an, als ich ihr sage, dass das ihre Oma war.
    »Hängt mein Sakko hier irgendwo? In der Innentasche ist ein Brief für sie.«
    Als sie aufsteht, sehe ich wieder die reglose Catharina vor mir und verstehe, was sie mir heute Nacht zu verstehen geben wollte: Du bist zu spät gekommen, Jonah.
    Sonja hält den Umschlag hoch, wedelt triumphierend damit, als wäre es ein Beweisstück in einem Gerichtsverfahren. »Ein Liebesbrief?«
    »So ähnlich.«
    Sie klatscht in die Hände. »Wart ihr früher wirklich ein Liebespaar?«
    Ich erinnere mich an den Abend in Catharinas Bett. Das Theaterstück war außer Kontrolle geraten, die Aufführung wurde fortgesetzt, nachdem die Zuschauer den Saal bereits verlassen hatten. Verliebtheit war es nicht; wir hielten uns nur für einen Augenblick aneinander fest. Es lag an der Zeit, an den Umständen. So war das, aber früher sahen wir die Dinge noch anders.
    »Wir waren sehr voneinander angetan«, antworte ich vorsichtig, »aber erst muss ich dir was anderes erzählen. Keine schöne Geschichte.«
    Mein ernster Blick spiegelt sich in Sonjas Gesichtsausdruck, sie streichelt meinen Arm und wartet.
    Ich erzähle ihr, wie wir uns kennengelernt haben, wie Kat und ich einander umarmten, wie wir von der Amstel zu ihrer Wohnung in der Waalstraat gingen. Ich nehme sie mit über die Schwelle des Schlafzimmers ihrer Großmutter. »Den Rest kannst du dir denken.«
    Sonja strahlt schon wieder. Sie setzt zu einer Frage über die damaligen Umstände an; wie wir unter diesem Druck trotzdem,so schnell, die Zeit gefunden hätten, uns … aber noch
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