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Der Beweis des Jahrhunderts

Der Beweis des Jahrhunderts

Titel: Der Beweis des Jahrhunderts
Autoren: Masha Gessen
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Alexandrows Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften gestimmt hatte, obwohl er es versprochen hatte. Abramow jedenfalls war glücklich, eine Gesprächsbasis mit seinem früheren Schüler gefunden zu haben, und bot Perelman an, ihm ein Buch über Kolmo 296 gorow und Alexandrow zu schicken. »Ich lese nicht«, habe Perelman erwidert – also die Ausrede gebraucht, mit der er alle Bücher zurückwies, auch solche über seinen eigenen Beweis. Für Abramow war das Gespräch dennoch ein Hoffnungsschimmer: »Zumindest hatte er nicht jedes Interesse verloren.« Ich dagegen sehe die Sache anders. Perelman war bald so weit, auch noch die letzte enge persönliche Beziehung zu beenden, die er hatte – ausgenommen die zu seiner Mutter –, nämlich die zu Rukschin. Irgendwann im Winter oder Frühjahr 2008 stellte er jeden Kontakt zu seinem früheren Lehrer ein.
    Bevor Perelman mit Rukschin nicht mehr redete, sprachen sie eine gewisse Zeit lang über den Eine-Million-Dollar-Preis und legten sich gemeinsam eine Strategie zurecht, wie in dieser Angelegenheit zu verfahren sei. Ebenso wie der Rest der mathematischen Welt habe auch das Clay Mathematics Institute Perelman betrogen, so ihre Ansicht. Rukschin hatte mir gegenüber sogar die Vermutung geäußert, das Institut habe seine Regeln zwischenzeitlich geändert und die Veröffentlichung in einer anerkannten Fachzeitschrift sowie die zweijährige Wartezeit als Bedingung nur eingeführt, um die Auszahlung des Geldes an Perelman zu verzögern oder möglicherweise sogar ganz vermeiden zu können. Tatsächlich aber sind an den Regeln des Millennium-Preises keine Veränderungen mehr vorgenommen worden, seit dieser im Jahr 2000 ausgelobt wurde. Natürlich könnte jemand in Jim Carlsons Position insgeheim darüber nachgedacht haben, ob und wie sich die Entscheidung hinausschieben lassen könnte – und damit auch das wahrscheinliche Scheitern aller Bemühungen, Perelman zur Annahme zu bewegen, sowie die un 297 schöne Presseberichterstattung, die das nach sich ziehen würde. Dies alles entspräche nicht dem Bild von Triumph und Herrlichkeit der Mathematik, das das Institut vor Augen hatte, als es den Preis aussetzte. Zwar würde es der Mathematik öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen, aber nicht so, wie gedacht. Es wäre eben nicht jene fabelhafte Story, die Scharen junger Leute inspirieren sollte, eine Karriere als Mathematiker einzuschlagen. Denkbar ist, dass Jim Carlson es so lange wie möglich hinauszögern wollte, seinen Fuß auf dieses schwierige Gelände zu setzen. Aber nichts deutet darauf hin, dass er tatsächlich demgemäß agierte. Vielmehr tat er alles, was in seiner Macht stand, um den Prozess zu beschleunigen, vor allem deshalb, weil er seine große Mission unbedingt erfüllen wollte, indem er Perelmans Leistung die ihr gebührende Anerkennung verschafft – aber auch ein wenig deshalb, weil er hoffte, dann endlich einmal den berühmten Perelman persönlich zu treffen.
     
    Für das Frühjahr 2008 plante Carlson eine Reise und entschloss sich zu einem Abstecher nach St. Petersburg. Der Zeitpunkt schien genau richtig: Die Kontroverse war eingeschlafen, die Zweifel an Perelmans Beweis waren verstummt, und der Augenblick, da jemand – vermutlich Carlson selbst – ihn fragen müsste, ob er eine Million Dollar annehmen würde, rückte näher. Es war Zeit, Kontakt mit Perelman aufzunehmen.
    Vielleicht hoffte Carlson, er würde mit Perelman zumindest so sprechen können wie seinerzeit Sir John Ball: ausführlich und tiefschürfend, im Ergebnis aber ohne Erfolg. Irgendwelche Gründe anzunehmen, dass sein Ge 298 spräch anders verlaufen würde, gab es nicht, aber er durfte die Hoffnung nicht aufgeben.
    An seinem ersten Tag in St. Petersburg rief Carlson aus seinem Hotel bei Perelman an. Er stellte sich vor und erklärte den zeitlichen Ablauf für die Verleihung des Clay-Preises; noch einmal zählte er all das auf, was Perelman mit Sicherheit schon wusste – dass nach der Veröffentlichung in einer anerkannten Fachzeitschrift zwei Jahre vergehen müssten und dass das Morgan-Tian-Buch den Zeitpunkt gesetzt habe, von dem an die Wartefrist gerechnet werde. Wahrscheinlich im Mai 2009 , so teilte er Perelman mit, würde der Preisverleihungsausschuss gebildet werden, dessen Bericht dann etwa im August 2009 zu erwarten sei.
    Perelman hörte höflich zu.
    Carlson hat ihn nicht gefragt, ob er das Geld annehmen werde, wenn es ihm angeboten würde. »So wie das Gespräch lief«, sagte er
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