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Der Beweis des Jahrhunderts

Der Beweis des Jahrhunderts

Titel: Der Beweis des Jahrhunderts
Autoren: Masha Gessen
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    Morgan hatte mehr Glück bei Perelman. Im Tandem mit Tian fiel ihm die Aufgabe zu, Perelman wegen mathematischer Fragen anzuschreiben. Immer wieder, so erzählte er mir, sei er erstaunt gewesen, mit welcher Präzision Perelman geantwortet habe: »Ich stellte ihm eine Frage und bekam postwendend exakt die Antwort, die ich brauchte. Normalerweise läuft das anders: Man fragt einen Kollegen etwas und dieser versteht entweder die Frage nicht oder er beantwortet sie unter einem anderen Gesichtspunkt, so dass man in der ersten Runde nicht ganz 245 genau das bekommt, wonach man sucht. Also stellt man die Frage noch einmal. Man reformuliert und differenziert sie. Und dann bekommt man vielleicht eine Antwort, mit der man etwas anfangen kann. Bei Perelman passierte das nie; ich stellte ihm eine Frage, und er wusste offenbar genau, was genau ich nicht richtig verstanden hatte und was genau ich brauchte, um die Sache klarzukriegen.«
    Also versuchte Morgan sein Glück auch mit anderen Fragen, und er hatte einige, die dringend waren. Zunächst wollte er, dass Perelmans Preprints offiziell veröffentlicht würden – und sei es nur, um sie für die Historiografie der Mathematik zu bewahren. Er schlug ihm vor, sie selbst herauszugeben, und zwar in einer Zeitschrift, deren Mitherausgeber er sei. Außerdem lud er Perelman ein, an die Columbia University zu kommen: »Möchten Sie eine Woche, einen Monat, ein Semester, ein Jahr, für den Rest Ihres Lebens kommen?« Fragen dieser Art schleuste Morgan ganz behutsam zwischen den mathematischen Fragen ein. »Seine Antworten lauteten dann etwa so: ›Die Antwort auf Frage eins lautet so und so, und das ist die Antwort auf Frage zwei. Ich habe keine Antworten auf Ihre anderen Fragen.‹ – Immerhin, er hat sie zur Kenntnis genommen, das machte er sonst bei kaum jemandem.« Aber er beantwortete sie nicht. Nach einer Weile gingen Morgan die mathematischen Fragen aus.
    2006 schlossen Morgan und Tian ihr Manuskript ab und schickten es an Perelman. Das Päckchen kam gestempelt zurück: ANNAHME VERWEIGERT.

289 11 .
Die Eine-Million-Dollar-Frage
    In der Grundschule fand Jim Carlson Rechnen langweilig. 1 Er war mit seinen Gedanken ständig woanders. Seine Mutter musste ihm Nachhilfeunterricht mit Lernkärtchen geben, damit er nicht durchfiel. Im letzten Jahr der Oberschule gab ihm sein Mathematiklehrer ein Blatt Papier und sagte, er solle sich in die letzte Reihe setzen. Auf dem Papier standen, mit Schreibmaschine getippt, die Titel von einem Dutzend Büchern über Mathematik, von denen der Lehrer dachte, sie könnten Carlson interessieren – er könne darin lesen, solange er wolle und solange er seine übrigen Schularbeiten nicht vernachlässige. Auf der Liste stand auch Courants und Robbins’ Klassiker What is Mathematics? . * Darin las Carlson unter anderem zum ersten Mal etwas über irrationale Zahlen. Als er 1963 ans College der University of Idaho ging, wollte er als Hauptfach eigentlich entweder Physik oder Psychologie studieren. Psychologie studierte er gar nicht, die Physik kam ein wenig besser weg, aber dafür belegte er bereits im zweiten Semester Fortgeschrittenenkurse in Mathematik.
    1971 wurde er in Princeton promoviert, lehrte in Stanford und Brandeis, ging letzten Endes zur University of Utah, wo er ein Vierteljahrhundert blieb und schließlich dem mathematischen Fachbereich vorstand. Anschließend 290 wechselte er nach Cambridge, Massachusetts, um die Leitung des Clay Mathematics Institute zu übernehmen. Die Stelle sagte ihm aus verschiedenen Gründen zu, nicht zuletzt weil sich die Arbeitszeiten mit seinen persönlichen Lebensumständen in Einklang bringen ließen. Aber auch die Aufgabe, die ihn dort erwartete, gefiel ihm. Sie bestand darin, die Mathematik zu fördern; unter anderem sollte er dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche auf elegantere Weise an die Mathematik herangeführt werden, als er es selbst erlebt hatte, damals in der letzten Bank des Klassenzimmers. Im Grunde sollte er der amerikanischen Mathematik etwas vom Glanz und der professionellen Organisation der russischen Mathematik geben. Und ein Instrument, das ihm zur Verfügung gestellt wurde, um die Mathematik populärer zu machen, war der ambitionierte und außerordentlich üppig dotierte Millennium-Preis. Allerdings ging Jim Carlson davon aus, dass er dieses Geld niemals in die Hand nehmen werde; er glaubte in Wahrheit nicht daran, dass eines der Millennium-Probleme tatsächlich noch zu
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