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Der Beweis des Jahrhunderts

Der Beweis des Jahrhunderts

Titel: Der Beweis des Jahrhunderts
Autoren: Masha Gessen
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durch den Kongress schien der Streitfall beigelegt, und als im Herbst 2006 Beweise für das Plagiat der Chinesen auftauchten, wurde es still um die Frage der Autorschaft. Dann erschien Morgans und Tians Buch über den Beweis, und das Clay Mathematics Institute eröffnete die zweijährige Wartezeit, die zu den Bedingungen der Millennium-Preise gehört. Nach Ablauf dieser Zeit würde es eine Kommission einsetzen, die im Herbst 2009 ihre Empfehlung aussprechen könnte. Falls nicht doch noch ein Fehler auftauchen oder sonst eine unvorhergesehene und höchst unwahrscheinliche Katastrophe passieren würde, wird der Ausschuss empfehlen, Grigori Perelman den Eine-Million-Dollar-Preis zu geben. Womit sich nur noch eine Frage stellt: Was dann?
     
    War Perelmans Einstellung zu Preisen, Auszeichnungen und Ehrungen in sich stimmig? Wenn ja, müsste er, wenn sie ihm angeboten würde, die Clay-Million eigentlich annehmen. Sein Einwand gegen den Preis der Europäischen Mathematischen Gesellschaft hatte ja darin bestanden, dass er ihn für eine Arbeit bekommen sollte, die er selbst als unvollständig betrachtete. Nichts dergleichen lässt sich über den Poincaré-Beweis sagen. Nicht nur hatten andere Mathematiker den Beweis für vollständig erklärt; auch Perelman selbst war klarerweise der Ansicht, sein Projekt 294 dieses Mal abgeschlossen zu haben. Sein Einwand gegen die Fields-Medaille, den er allerdings nie wirklich deutlich formuliert hatte, schien zwei Gründe gehabt zu haben: Erstens sah er sich nicht mehr als Mathematiker und konnte deshalb keinen Preis annehmen, der als Ansporn für Forscher in der Mitte ihrer Karriere gedacht war. Und zweitens wollte er mit dem Internationalen Mathematikerkongress, mit der Öffentlichkeit, den Reden, den Feierlichkeiten, dem König von Spanien und mit allem, was sonst noch dazugehört, nichts zu tun haben.
    Der Clay-Preis jedoch wird für eine besondere mathematische Leistung verliehen, ohne die Bedingung, dass der Empfänger sich weiterhin als Mathematiker betätigt. Und die Verleihung ist nicht notwendig mit einer feierlichen Übergabe verbunden. Der Preis ist eine Ehrung, die einem Mathematiker vonseiten seiner Kollegen zuteilwird, ohne Beteiligung irgendwelcher mathematikferner Würdenträger. Auch in einer weiteren, sehr wesentlichen Hinsicht ist der Preis etwas anderes als der EMS -Preis und die Fields-Medaille: Er ist die Anerkennung von Perelmans einzigartiger Leistung. Niemand zuvor hat ihn bekommen, und es ist recht wahrscheinlich, dass es sehr lange dauern wird, vermutlich länger, als wir alle leben, bis ein weiterer Millennium-Preis verliehen wird.
    »Er hat vielleicht einen Plan«, sagte Alexander Abramow, Perelmans ehemaliger Mathe-Olympiaden-Trainer in unserem Gespräch. »Womöglich hat er längst entschieden, den Clay-Preis, wenn er ihm zugesprochen wird, anzunehmen, weil er ihn als Zeichen vollkommener Anerkennung betrachtet und er dann leben könnte, wie er wollte, von niemandem abhängig.« Abramow machte eine 295 Pause. »Aber gut, ich sage das natürlich auch, weil man ja irgendeine vernünftige Hypothese braucht.« Anders gesagt: Man musste sich für Perelman Szenarien mit glücklichem Ausgang ausdenken, weil man sich andernfalls Sorgen um ihn machen müsste, jedenfalls dann, wenn einem etwas an ihm liegt. Abramow machte sich Sorgen: »Ich befürchte, das ist eine Situation, die nicht gut ausgehen wird. Er hat zu viele Sachen im Kopf und ist viel zu allein.« Auch Abramow rief Perelman nicht mehr an, nachdem dieser am Telefon grob geworden war. Davor hatte er sich gelegentlich gemeldet, ihm moralische und finanzielle Unterstützung angeboten. Zum Beispiel hatte er ihm den Vorschlag gemacht, er könne, wenn er mit Preisen nichts zu tun haben, sich aber ein bisschen Geld verdienen wolle, einen Artikel für Kwant schreiben, die von Kolmogorow gegründete, populärwissenschaftliche Zeitschrift, für die Abramow als Redakteur arbeitete. Perelman lehnte alle Angebote ab und zuletzt auch Abramows Freundschaft. »Er sagte mir, es sei einer seiner Grundsätze, nie irgendwem seine Freundschaft aufzudrängen. Daraufhin fragte ich ihn, ob er die Geschichte von Kolmogorows und Alexandrows Freundschaft kenne, und plötzlich wollte er mehr wissen. Fast zehn Minuten sprachen wir darüber. Am meisten interessierte ihn die Geschichte, wie Kolmogorow Lusin eine Ohrfeige gab.« Kolmogorow hatte Lusin, seinen und Alexandrows früheren Lehrer, damals attackiert, weil dieser nicht für
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