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Der Beweis des Jahrhunderts

Der Beweis des Jahrhunderts

Titel: Der Beweis des Jahrhunderts
Autoren: Masha Gessen
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Vorstellung, zum hochdekorierten Besitz irgendeines Fachbereichs zu werden.
     
    Ende April 2003 flog Perelman nach Russland zurück. Am 17 . Juli stellte er den dritten und letzten Teil seiner Artikelserie über die Poincaré-Vermutung ins Netz, der gerade einmal sieben Seiten lang war. 16 Die Debatten gingen weiter, ohne ihn. Schon im Juni hatte Kleiner zusammen mit John Lott, seinem Kollegen an der University of Michigan, eine Website eingerichtet, auf der sie ihre Anmerkungen zu Perelmans erstem Papier veröffentlichten. 17 Gegen Ende des Jahres war der erste der drei Artikel Gegenstand eines Workshops, zu dem das American Institute of Mathematics in Palo Alto und das Mathematical Sciences Research Institute in Berkeley gemeinsam einluden und dessen aktivste Teilnehmer Kleiner, Lott, Tian und Morgan waren. 18 Alle vier nahmen im Sommer 2004 auch an einem Workshop in Princeton teil, organisiert vom Clay Mathematics Institute, das den Millionen-Preis zu vergeben hatte und darum an einer Begutachtung des Perelman’schen Beweises interessiert war. Zur Zeit des Clay-Workshops hat 240 ten die vier Mathematiker, die sich am intensivsten in Perelmans Abhandlung eingearbeitet hatten, offenbar keinerlei Zweifel mehr daran, dass der Beweis korrekt ist. Zwar fanden sie einige Fehler sowie viele Lücken in der Darstellung, aber diese Mängel waren nicht dazu angetan, das Urteil insgesamt zu erschüttern, dass Perelman tatsächlich die Poincaré-Vermutung bewiesen hatte und wahrscheinlich auch die Geometrisierungsvermutung (ein Konsens darüber kam erst später zustande). Wie Perelman vorausgesagt hatte, brauchte die mathematische Fachwelt anderthalb Jahre, um seinen Beweis auf Herz und Nieren zu prüfen und für richtig zu befinden.
    Nach dem Workshop vom Sommer 2004 entschlossen sich Tian und Morgan, gemeinsam ein Buch über Perelmans Beweis zu schreiben. Es wurde vom Clay Mathematics Institute veröffentlicht, das auch die Arbeit von Kleiner und Lott finanziell unterstützte. Im Sommer 2005 finanzierte das Institut einen einmonatigen Workshop zu Perelmans Beweis. Das Studium seiner Artikel wurde zu einer Art mathematischer Heimindustrie, und das war auch durchaus angemessen. Immerhin hatten manche der beteiligten Mathematiker einen beträchtlichen Teil ihres Berufslebens damit zugebracht, mit diesen Vermutungen zu ringen. Nun opferten sie ihre Hoffnung auf eine Hauptrolle für die Chance, wenigstens eine Nebenrolle in der größten mathematischen Produktion ihrer Zeit zu spielen.
    Hätte Perelman den traditionellen Weg eingeschlagen – hätte er einen konventionellen Artikel geschrieben und ihn bei einer mathematischen Fachzeitschrift eingereicht –, seine Arbeit wäre wohl kaum genauer überprüft worden. Die Zeitschrift hätte seinen Artikel zur Begutachtung an 241 Kollegen geschickt, und das wären – so überschaubar ist die Welt der Topologie – mehr oder weniger dieselben Leute gewesen, die jetzt über dem Beweis brüteten. Als Gutachter hätten sie allerdings die Artikel jeder für sich gelesen und nicht in einem Seminar, einem Workshop oder einer Sommerschule diskutiert; sie hätten das Ergebnis ihrer Prüfung der Zeitschrift in einem Schreiben mitgeteilt und nicht in Form von Anmerkungen im Netz, die allen Interessierten zugänglich waren. Indem er seinen Beweis in hochkonzentrierter Form ins Internet stellte, hat Perelman einen Prozess in Gang gesetzt, in den wahrscheinlich ebenso viele Leute einbezogen waren wie bei einer Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift, der sich jedoch als deutlich kollaborativer und öffentlicher erwies als das traditionelle Verfahren. Außerdem ging es schneller. Perelman nahm sich nicht die üblichen Monate oder Jahre Zeit, um die Darstellung seines Beweises den traditionellen wissenschaftlichen Publikationen anzupassen. Dahinter steckte keine besondere Ideologie; Perelman konnte mit diesen Standards einfach nichts anfangen und schenkte ihnen deshalb keine Beachtung.
    Aber welche Rolle sollten Männer wie Kleiner, Lott, Tian und Morgan, die Perelmans Beweis nicht nur verstehen, sondern auch erklären wollten, einnehmen, wenn sich alles außerhalb des traditionellen Rahmens wissenschaftlicher Veröffentlichungspraxis abspielte? Nun, in gewissem Sinn wurden sie zu Perelmans Mitautoren. Auch dieser selbst war einmal in ähnlicher Weise Mitautor gewesen, und zwar eines seiner wichtigsten frühen Artikel. Als ich Gromow fragte, wie es gewesen sei, zusammen mit Perelman einen
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