Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der beste Tag meines Lebens

Der beste Tag meines Lebens

Titel: Der beste Tag meines Lebens
Autoren: Ashley Miller , Zack Stentz
Vom Netzwerk:
für Atomkrieg und dessen Verhinderung.
    Interessanterweise ist das Gefangenendilemma ein Paradoxon. Eine Kooperation kommt dem Einzelnen nur dann zugute, wenn beide kooperieren. Andernfalls wird Kooperation bestraft. Das Paradoxon lässt sich leicht auflösen, wenn beide Mitspieler wissen, was der jeweils andere tun wird, denn die meisten werden wohl lieber einen kleinen Verlust als großen Schaden hinnehmen.
    Doch so funktioniert es nun mal nicht. Man kann nie wissen, wie sich der andere Mitspieler verhalten wird, folglich muss man sich auf die Umsicht von beiden verlassen. Das heißt dann »Abschreckung«. Es bedeutet, dass man sich mit geringerer Wahrscheinlichkeit für eine riskante Strategie mit umfassenden negativen Folgen entscheidet, weil man weiß, der Gegner verfolgt das gleiche Ziel: Überleben.
    Für die Alternative dazu gibt es ebenfalls einen eigenen Begriff. Er lautet »gegenseitige zugesicherte Zerstörung«.
    ***
    Mathe war Colins absolutes Lieblingsfach.
    Anders als die meisten seiner Mitschüler wusste Colin, wozu Mathe gut ist. Er begriff, warum es sinnvoll ist, auszurechnen, wie viel Zeit vergeht, bis zwei Züge sich begegnen, wenn der eine um 15  Uhr Chicago Richtung Osten verlässt und der andere New York um 16  Uhr in Richtung Westen. Die Antwort auf diese Textaufgabe spielte keine Rolle – doch die
Rechnung
war von entscheidender Bedeutung, denn sie gestattete einem, etwas über Züge zu lernen. Züge interessierten Colin sehr und waren in seinen Augen ein wertvolles Lernthema. [3]
    In Colins Augen galt das übrigens für alle Schulfächer. Etwas zu lernen bedeutete, etwas zu wissen; etwas zu wissen bedeutete, es zu verstehen; etwas zu verstehen bedeutete, ihm furchtlos zu begegnen.
    Daher schrieb Colin auch jedes Wort mit, das sein alter grauhaariger Algebralehrer, Mr. Gates, von sich gab oder an die Tafel kritzelte. Beispielsweise den Ausdruck Identitätsmatrix. Der von der Kreide staubige, krumme Zeigefinger richtete sich auf die Klasse.
    »Kann mir irgendjemand die Eigenschaften einer Identitätsmatrix nennen?«, fragte Mr. Gates.
    Colin konnte. Seine Hand schoss nach oben, er erwartete, aufgerufen zu werden. Doch das wurde er nicht. Mr. Gates registrierte stumm Colins offensichtliche Begeisterung und überging ihn.
    »Danke sehr, Mr. Fischer«, sagte er. »Ich würde auch gerne hören, was die anderen wissen.«
    Schwaches Gelächter in der Klasse. Die lautesten Lacher kamen von ganz hinten, und zwar von einem Jungen namens Rudy Moore – er stand als
Rudolph Talbott Moore
auf Mr. Gates Liste.
    Colin fand Rudy beunruhigend. Das lag daran, dass sein Gesichtsausdruck nie zu den von Hand skizzierten Figuren auf seinem Spickzettel passte. Seine Augen und der Mund schienen nie übereinzustimmen – genau genommen veränderten sich seine Augen fast nie. Es war, als würde er niemals wirklich etwas fühlen, sondern einfach nur seine Gesichtsmuskeln bewegen, um menschliche Gefühle zu imitieren. Rudy erinnerte Colin an einen Hai, vor allem wenn er lächelte.
    Colin hatte genau einen Eintrag zu Rudy in seinem Notizbuch:
     
    Rudy Moore: Intelligent. Gefährlich. Meiden.
     
    Mr. Gates gab ein leises Geräusch von sich, beinahe ein Knurren. »Niemand?«
    Colin riss wieder seine Hand nach oben, denn er hatte die Frage als Aufforderung verstanden.
    »Na los, irgendjemand, der einen Versuch wagt.«
    Colin fuchtelte herum und winkte den Lehrer zu sich heran, weil er dachte, der hätte ihn vielleicht übersehen.
    Mr. Gates erstarrte, als müsse er noch einen geheimnisvollen Algorithmus berechnen, bevor er seine Lösung preisgab. »Also gut, Fischer.«
    Colin stand auf und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch bevor das erste Wort der Lösung über seine Lippen kam, wurde er vom schrillen Klingelton eines Handys, das irgendwo im hinteren Teil des Klassenzimmers ertönte, unterbrochen. Colin verzog den Mund und zählte stumm bis drei.
    Mr. Gates sah zornig drein. »Wer auch immer das ist, macht sein Telefon sofort aus, sonst gehört es mir.«
    Das Klingeln verstummte. Mr. Gates hielt einen Moment inne, wie um sicherzugehen, dass es wirklich aus war, dann nickte er Colins zu. »Nur zu.«
    Wieder machte Colin den Mund auf. Diesmal unterbrach ihn das Handy mit einem Musikstück: Die
Ouvertüre 1812.
Wieder zählte er bis drei und atmete tief durch.
    »Ausmachen«, schnauzte Mr. Gates, »letzte Warnung.«
    Die Musik verstummte. Colin hörte Gelächter und geflüsterte Gespräche um sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher