Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der beste Tag meines Lebens

Der beste Tag meines Lebens

Titel: Der beste Tag meines Lebens
Autoren: Ashley Miller , Zack Stentz
Vom Netzwerk:
ohne dass ein weiteres Wort zwischen ihnen gefallen wäre.
    ***
    Colin war bei Schritt 39 zwischen dem Büro der Direktorin und seinem Klassenzimmer, als er Sandy Ryan an Eddie Martins Spind erblickte. Sie hatte gerade die Tür geöffnet und langte hinein, um sich Eddies Notre-Dame-Jacke zu schnappen, in die sie sogleich hineinschlüpfte. Colin runzelte die Stirn und griff nach seinem Notizbuch. Wurde er etwa gerade Zeuge eines Verbrechens? Konnte Sandy so naiv sein zu glauben, sie würde ungeschoren davonkommen?
     
    10:15  Uhr. Sandy Ryan an Eddies Spind. Ist sie eine Diebin, oder ist ihre Beziehung zu Eddie bereits bei der Vorstufe einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft angelangt, in der de facto Gütergemeinschaft herrscht?
     
    Falls Sandy Colin bemerkt hatte, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie blieb einfach vor Eddies Spind stehen, wie erstarrt, offensichtlich gedankenverloren. Colin schlich näher, wie ein Vogelbeobachter, der einen besonders scheuen Sperling im Blick hat. Er wollte sich eben daranmachen, seine Gedanken dazu und die Beobachtungen über die Beziehungsdynamik unter Teenagern festzuhalten, als er hörte, wie die Eingangstür zur Schule aufging. Dann der bekannte, dröhnend schwere Schritt. Wayne Connelly.
    Wayne kam näher und wurde von den Strahlen der Mittagssonne angeleuchtet, die durch das große Haupttor hinter ihm hereinfielen. Colin bemerkte den kühlen Luftzug, der durch den Flur wehte, und stellte fest, dass die Tür hinter Wayne noch nicht ganz geschlossen war. Er kam also von draußen herein. Colin schaute in sein Notizbuch. Sandy war vergessen. Er registrierte kaum das metallische Geräusch, mit dem sie die Tür von Eddies Spind zuschlug, und das Stakkato der quietschenden Gummisohlen von Sandys Tennisschuhen auf dem Fliesenboden, während sie davoneilte. Er runzelte die Stirn, während er über Wayne nachdachte und das Befremdliche an diesem Augenblick festhielt:
     
    Wayne, 3 . Stunde. Kommt von draußen. Sehr interessant. Weiter ermitteln.
     
    Wayne blieb stehen, die Augen starr auf Colin gerichtet. Colin erwiderte seinen Blick und wunderte sich, nicht BOSHEIT im Gesicht seines üblichen Peinigers zu entdecken, sondern nur ein ZÖGERN .
    Colin schloss das Notizbuch und steckte den Stift ein. Er war bei Schritt 43 , als er Waynes Stimme vernahm.
    »Wo gehst du denn hin?«, fragte Wayne.
    Colin sah ihm ins Gesicht und merkte sich, bei welchem Schritt er gerade war, damit er sich nicht verzählte. »Hallo, Wayne. Ich gehe zu Algebra. Sonst verpasse ich eine Stunde über Identitätsmatrizes, die ich sehr interessant finde.«
    Mit einem letzten Blick auf den sonnenbeschienenen offenen Parkplatz hinter Wayne setzte Colin seinen Weg fort. Er hasste es, irgendetwas Interessantes zu verpassen – vor allem in Mathe.

4 . Kapitel
    Der Kuleschow-Effekt
    Meine Eltern sagen, es sei schwer zu erraten, was ich gerade denke, weil ich meistens ein absolut neutrales Gesicht mache. Dabei tue ich das nicht mit Absicht. Ich bin einfach so. Mein Vater scherzt darüber und meint, ich ließe mir nicht in die Karten schauen, aber das stimmt nicht. Mein Gesicht hat einfach diesen Ausdruck, egal ob ich Karten oder irgendetwas anderes spiele.
    Die absolut leere Miene ist übrigens der am schwersten zu deutende Gesichtsausdruck. Das bewies vor fast hundert Jahren ein russischer Regisseur. Nach der Revolution von 1917 war Filmmaterial in Moskau schwer zu bekommen, also experimentierten die Filmemacher mit vorhandenen Versatzstücken. Einer von ihnen tat Folgendes, um zu beweisen, wie sich durch den entsprechenden Zusammenschnitt menschliche Gefühle manipulieren lassen.
    Als Erstes filmte er einen Schauspieler, den er angewiesen hatte, ein vollkommen neutrales Gesicht zu machen. Als der Regisseur die Aufnahme eines Brathuhns darauf folgen ließ, meinte das Publikum: »Man sieht, wie hungrig dieser Mann ist.« Ersetzte er das Huhn durch einen Sarg, glaubten die Zuschauer, der Mann sei traurig gewesen. Zeigte er aber stattdessen eine schöne Frau, lasen die Leute von seinem Gesicht ab, wie sich der Darsteller förmlich nach seiner Geliebten verzehrte.
    Dieses Phänomen heißt seither nach dem Regisseur, der das Experiment durchführte, Kuleschow-Effekt. Der beweist, dass man, ohne den Zusammenhang zu kennen, niemals wissen kann, was ein ausdrucksloses Gesicht bedeutet.
    ***
    Colin roch die Turnhalle schon, bevor er sie überhaupt betreten hatte. Kalter Schweiß, Schimmel, Urin von einer kaputten Toilette
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher