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Der Bastard

Der Bastard

Titel: Der Bastard
Autoren: Roman Rausch
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ich etwas für dich tun? Du musst es nur sagen.»
    «Das ist der Grund, warum ich dich hergebeten habe.»
    Sibelius erhob sich und stellte sich zu Kingsley ans Fenster. Sie hatten von hier einen guten Überblick über das gesamte Klinikgelände. Im Zentrum stand eine Jugendstilvilla, die den Empfang und die Verwaltung beherbergte. Rechts davon ein langgestreckter zweigeschossiger Neubau mit den Operationssälen. Daran schloss sich ein modernes Gebäude an, in dem die w e niger betuchte n P atienten untergebracht waren. Wer Geld oder Einfluss hatte, bewohnte während seines Aufenthaltes in der Sibelius-Klinik einen der Bungalows, die über den großzügigen Park verteilt waren. Heinrich Sibelius machte eine Handbewegung, die a l les, worauf sie blickten, umfasste.
    «Das ist mein Lebenswerk.» Er nickte bedächtig mit dem Kopf.
    «Du weißt, dass ich aus einer Arbeiterfamilie stamme. Meine Eltern konnten das alles leider nicht mehr miterleben. Mein Vater ist im Krieg gefallen, und meine Mutter ist beim Bombardement Würzburgs, kurz vor Kriegsende, ums Leben gekommen. Alles, was ich von ihnen geerbt habe, sind ein Hoc h zeitsfoto und der Ehering meines Vaters. »
    Jonathan Kingsley seufzte unhörbar, er hatte diese Geschichte schon zu oft gehört. Aber wahrscheinlich nun zum letzten Mal.
    «Ihr jungen Leute heutzutage habt es schwerer. Aber dennoch bin ich stolz auf das, was ich aufgebaut habe. Nach dem Krieg gab es viele Möglichkeiten, man musste nur die Nerven und etwas Risikoberei t schaft besitzen, um aus seinem Leben etwas zu m a chen.»
    Und etwas Startkapital durch die Vermählung mit der richtigen Frau, dachte Kingsley. Er glaubte, Sibelius würde nun von den entbehrungsreichen Jahren in Afrika sprechen, die er voller Idealismus gelebt hatte. Doch Sibelius überraschte ihn.
    «Es gibt niemanden vor mir, der den Stolz auf meine Leistungen mit mir teilen würde, und, wie es aussieht, auch niemanden nach mir. Mit Max wird die Famili e S ibelius aussterben, und all das wird in fremde Hände übergehen.» Er verstummte kurz und wandte sich dem Kamin zu. Auf dessen Sims stand der ganze Sibelius-Clan in Silberrahmen aufgereiht. Er griff nach dem Hochzeitsbild von sich und Clara. Jonathan befürchtete, dass er sich nun reihum allen Familienangehörigen widmen würde. Und so war es auch, doch zum Glück gab es nicht so viele Sibelius.
    «Ohne Clara hätte ich es sicher nicht so weit gebracht. Sie hat immer getan, was getan werden musste.» Er stellte das Bild beiseite.
    «Du weißt, dass sie dich sehr schätzt.»
    Jonathan Kingsley nickte stumm. Irgendwann würde Sibelius auf den Punkt kommen, doch offenbar brauchte er eine gewisse Vorbereitung. Als Nächstes nahm er ein Porträtfoto in die Hand. Es zeigte eine junge Frau mit blonden, halblangen Ha a ren, die leicht amüsiert in die Kamera schaute. Sib e lius betrachtete das Bild eine Zeitlang schweigend. Kingsley glaubte zu erkennen, dass seine Augen feucht wurden. Der alte Arzt hatte seine Schwiegertochter nicht nur geschätzt und respektiert, sondern wirklich geliebt. Kingsley konnte sich gut erinnern, wie oft Sibelius sie gegenüber Clara in Schutz g e nommen hatte.
    «Wäre es nicht zu diesem tragischen Unfall gekommen, würde heute alles anders aussehen.»
    Heinrich Sibelius stellte das Bild behutsam zurück und rückte es mit leicht zitternden Fingern zurecht.
    «Ich hätte mich besser um sie kümmern müssen», murmelte er. Dann hatte er sich wieder im Griff, und mit normaler Stimme fuhr er fort:
    «Sie hätten sicher Kinder gehabt. Das weiß ich. Sie hätten Kinder bekommen, und ich hätte nun Enkelkinder, die mein Lebenswerk fortsetzen könnten. Aber so …» Er zögerte kurz und blickte dann auf das Bild se i nes Sohnes. Ohne es in die Hand zu nehmen, sprach er weiter.
    «Ich glaube nicht, dass Maximilian wieder heiraten wird. Er kommt nicht darüber hinweg. Mit ihm wird die Familie untergehen.»
    «Vielleicht ja doch nicht», warf Kingsley ein. «Du weißt nicht, was noch alles geschehen kann.»
    Sibelius nickte resigniert.
    «Ja, vielleicht. Aber ich werde es mit Sicherheit nicht mehr erleben.»
    Er wandte sich wieder Kingsley zu. Die übrigen Bilder auf dem Kaminsims zeigten dieselben Familienmitglieder in anderen Szenerien und unterschiedl i chen Konstellationen. Sibelius blieb dicht vor Jon a than Kingsley stehen. Er sah zu Boden.
    «Die Leitung der Klinik werde ich an Maximilian übergeben.»
    «Natürlich.»
    Dann schwiegen sie wieder eine Weile, bis
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