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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition)
Autoren: Stephen L. Jones
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Zeiträume überprüft, hatte herausgefunden, dass die Möglichkeit durchaus bestand. Er hatte seinen Verdacht, was Hannahs Mutter Nicole anging, und dieser Verdacht erhärtete sich, als er sah, wie Hannah heranwuchs. Soll ich dir die Geschichte etwa jetzt erzählen, während sie vor deinen Füßen liegt und stirbt? Oder willst du ihr zuerst das Leben retten, und ich erzähle die Geschichte später?»
    Gabriel fiel auf die Knie. «Wenn das, was du sagst, wahr ist …»
    «
Gottverdammt
, Gabriel!»
    Gabriel beugte sich über Hannah und legte das Ohr an ihre gesprungenen Lippen. Er drehte den Kopf und betrachtete ihr zerstörtes Gesicht. Dann sah er zu Sebastien auf. «Du bist absolut sicher?»
    Sebastien ballte die Fäuste und verdrehte die Augen himmelwärts.
    Gabriel legte eine Hand auf Hannahs Brust über der Herzgegend. Mit der anderen berührte er ihre Schläfe. Dann schloss er die Augen und atmete aus.
    Leah beobachtete ihn gebannt. Sie ging zu Sebastien, schob ihre Hand in seine. «Was macht er da?», fragte sie flüsternd, aus Angst, sie könnte irgendetwas von dem, was die beiden Männer gesagt hatten, falsch verstanden haben, und der winzige Funken Hoffnung, der in ihr aufleuchtete, könnte wieder erlöschen.
    Sebastien umschloss ihre Finger mit seiner ledrigen Hand. «Es besteht eine Möglichkeit, Leah. Nur eine vage Möglichkeit, versteh das nicht falsch.
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können sich gegenseitig heilen. Es ist riskant und schmerzhaft, und es funktioniert nicht immer. Deine Mutter ist zum Teil eine
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, dessen bin ich mir sicher. Aber ich weiß nicht, wie stark dieser Teil von ihr ist.» Sebastien sah Leah an. «Glaubst du an Wunder?»
    Gabriel hockte im Gras und sog die Luft durch die Zähne. Seine Hände zuckten. Leah verfolgte atemlos, wie seine Finger ganz langsam in das Fleisch ihrer Mutter zu sinken schienen. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und stöhnte leise vor Schmerz.
    Der Körper unter seinen Händen bebte und zuckte, dann lag er still. Gabriel atmete ein. Er knirschte mit den Zähnen. Sein Gesicht hatte jegliche Farbe verloren; er sah so blass aus wie ein Gespenst. Ein weiteres Mal öffnete er den Mund, als wollte er aufschreien, doch diesmal kam kein Laut über seine Lippen. Schließlich riss er die Hände zurück. Leah sah, dass seine Finger blutig waren. Er schluchzte. «Es geht nicht. Sie ist zu schwer verletzt.»
    Er atmete ein paarmal durch, dann schrie er seine Frustration heraus: «Ich kann mich ganz in sie versenken. Ich würde es tun, ohne zu zögern, doch ich habe nicht genügend Kraft, um sie zurückzubringen. Es würde mich umbringen, und sie wäre immer noch tot.»
    Leah ließ Sebastiens Hand los. «Du musst dir mehr Mühe geben!», brüllte sie den Iren an. «Sie hat auch nicht aufgegeben! Sie hat
niemals
aufgegeben!»
    Gabriels Augen hatten ihre kobaltblaue Farbe verloren, waren verblasst zu einem stumpfen Grau. «Leah, es … es tut mir leid –»
    «Nein!
Nein!
Sag das nicht. Sag nicht, dass es dir leidtut!»
    Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter, und als sie sich wütend umwandte, um sie abzuschütteln, stellte sie fest, dass es eine Frauenhand war, schlank und glatt und zart.
    Éva stand hinter ihr. Ihre Augen waren voller Mitgefühl und Schmerz. «Er hat recht, Leah. Sie ist zu schwer verletzt. Die Verbrennungen sind zu schlimm.» Die
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hob den Blick zu Gabriel. «Du schaffst es nicht alleine. Aber mit meiner Hilfe könnte es gehen.»
    Seine Augen leuchteten auf, als er seine Mutter ansah. Die beiden schienen sich wortlos zu unterhalten. Dann sank Éva, groß und stark und wunderschön, neben ihrem Sohn ins Gras. Sie streckte die Hände aus und legte sie auf Hannahs geschwärzten Körper. Sie sah Gabriel an, und ihr Lächeln ließ ihm Tränen in die Augen schießen. «Lass mich das für dich tun.»
    Gabriel atmete bebend ein. Er starrte seine Mutter für eine gefühlte Ewigkeit an. Dann legte er seine Hände über ihre.
    Schweigend schlossen die beiden
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die Augen.
    Hinter ihnen quollen Rauch und Asche aus der Mühle in den herbstlichen Himmel. Flammen tobten im Innern des Gebäudes. Die Fledermäuse, aus ihrem Zuhause vertrieben, umkreisten flatternd die Rauchsäule.
    Leah blickte zum Fluss, zum schäumenden Wasser, das aus dem Mühlgraben über das zerfetzte Mühlrad rauschte. Sie sah zum anderen Ufer, zu den Bäumen dahinter, die hellen Flecken aus Sonnenlicht, die zwischen den Blättern hindurch auf das Wasser fielen
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