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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition)
Autoren: Stephen L. Jones
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doch sie vertraute ihnen.
    «Ich liebe dich, Mami», flüsterte ihre Tochter. «Ich will nicht, dass du stirbst.»
    Hannah öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch ihre Stimmbänder existierten nicht mehr. Es musste furchtbar sein für Leah, unfassbar schlimm, ihre Mutter so zu sehen. Wenn sie doch nur Lebewohl hätte sagen können. Wenn sie Leah doch nur ein wenig Trost hätte bieten können.
    Sie fragte sich, ob Nate zufrieden war mit ihr. Fragte sich, was er sagen würde. Fragte sich, ob er sie vielleicht beobachtete, während sie dalag. Seine Frau und seine Tochter unter der herbstlichen Sonne.
    Dann verebbten ihre Schmerzen allmählich. Das Licht flammte auf hinter ihren Augen. Diesmal war es kein brennendes, kein versengendes, alles verschlingendes Licht, sondern eine reinigende Wärme, ein Leuchten, voller Frieden, und Hannah seufzte ein letztes Mal, als sie den Schmerz und die Angst und den Verlust fahren ließ und diesen Frieden und diese Wärme mit ausgebreiteten Armen annahm.
     
    Leah sank zu einem erbärmlichen Häufchen Elend zusammen, als sie sah, wie ihre Mutter starb. Sie wusste, dass es ihre Mutter war, hatte sie erkannt an den schwelenden Stiefeln an ihren Füßen – dem einzigen Hinweis, der übrig geblieben war.
    Sie hatte gesagt, alles würde wieder gut werden. Doch es war nicht wieder gut, war überhaupt nicht gut. Sie hätte nicht mit ansehen dürfen, wie ihre Eltern starben. Nicht alle beide.
    Sie hörte Rufe vom Waldrand her und sah nach oben. Zwei Gestalten rannten auf sie zu. Wegen ihrer Tränen erkannte sie sie zunächst nicht.
    Gabriel war zuerst bei ihr. Er starrte hinunter auf die verkohlte Gestalt im Gras. Als er Leah aus seinen wunderschönen kobaltblauen Augen ansah, stellte sie überrascht fest, dass sie nass waren von Tränen. «Ist es Hannah?», fragte er. «Ist das deine Mutter?»
    Leah nickte.
    «Oh, Leah, es tut mir so leid.» Sein Gesicht war ein Bild des Elends, und als sie das sah, versuchte sie aufzustehen. Er überwand die Distanz zwischen ihnen und nahm sie in die Arme, und sie drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter und atmete seinen Geruch und tat, als wäre alles wieder gut. Auch wenn es niemals der Fall sein würde.
    «Jakab.» Gabriel nickte in Richtung der Mühle, der dunklen Flammen, die aus den Fenstern schlugen. Schwarzer Rauch wehte über den Fluss. «Ist er dort drin?»
    Leah nickte.
    «Deine Mutter war die tapferste und mutigste Frau, der ich je begegnet bin. Sie hat ihr Versprechen gehalten.»
    «Sie hat versprochen, dass alles wieder gut werden würde.»
    «Und das wird es. Du wirst eine Weile brauchen, aber irgendwann wirst du es sehen.»
    Dann hörte sie ein neues Geräusch, ein furchtbares, untröstliches Schluchzen, eine Mischung aus Wut und Unglauben und Seelenschmerz. Als Leah die Augen öffnete, sah sie Sebastien zum Leichnam ihrer Mutter torkeln. Er fiel auf die Knie.
    Der alte Mann streckte die Hand aus und schien ihr verbranntes Fleisch berühren zu wollen. Doch dann schlug er die Hände über den Kopf und drehte sich zu Gabriel um.
«Tu etwas!»
    Der irische
hosszú élet
ließ die Schultern hängen. «Was kann ich denn tun? Was kann irgendeiner von uns jetzt noch tun? Mach die Augen auf, Mann. Sie ist tot.»
    «Es ist noch
Leben
in ihr!»
    «Nein, ist es nicht. Und selbst wenn es so wäre … sieh sie doch an, Sebastien. Sieh sie dir einfach nur an.»
    Sebastiens Augen blickten wild. «Hast du denn gar nichts begriffen? Verstehst du überhaupt nichts? Wie lange brauchst du, um dahinterzukommen, Gabriel? Sie ist eine von euch. Eine von eurem Volk! Hannah ist eine
hosszú élet
. Ich bin absolut sicher. Sie ist eine von euch, und sie kann wieder gesund werden!»
    Leah spürte, wie sich Gabriel versteifte. Plötzlich rutschte sie aus seiner Umarmung, rutschte an ihm zu Boden.
    «Das kann nicht sein», flüsterte er. «Das ist … völlig unmöglich.»
    Sebastien kam unsicher auf die Beine. Er lief auf und ab, raufte sich die Haare. «Wie dumm, wie unglaublich dumm! Es war der eine Punkt, über den ich mit Charles gestritten habe … Ich wusste, dass seine Absichten nobel waren, aber ich habe mich nie seiner Meinung angeschlossen. Es klang einfach zu abenteuerlich.»
    Nun war Gabriel derjenige, der brüllte. Sein Gesicht war gerötet.
«Du redest wirres Zeug!»
    «Es war Charles’ Theorie, nicht meine», sagte der alte Mann. Die Worte sprudelten nun aus ihm. «Er hatte seine Nachforschungen angestellt, hatte die jeweiligen Daten und
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