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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition)
Autoren: Stephen L. Jones
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und dort ein silbernes Geflecht webten.
    Im Gras kippte Éva seitlich gegen ihren Sohn, doch sie nahm die Hände nicht von Hannahs Leib, und Gabriel machte keine Bewegung, um sie aufzufangen, auch wenn er das Gesicht zu einer Grimasse verzog und entschlossen die Zähne zusammenbiss. Als Leah hinsah, wehte eine kleine Bö über sie hinweg und wehte eine verkohlte Schuppe von der Haut ihrer Mutter.
    Darunter kam ein kleiner rosafarbener Fleck zum Vorschein.
    Gesunde Haut. Haarlos, aber unversehrt.
    Leah starrte auf die Stelle. Sie hörte, wie Sebastien hinter ihr aufschrie. Zuerst dachte sie, er weinte um ihre Mutter, weinte wegen des Wunders, das sich vor ihren Augen abspielte, doch dann erkannte sie, dass seine Tränen Éva galten.
    Die elegante
Főnök
der
hosszú életek
alterte in atemberaubendem Tempo. Ihre Haut wurde faltig, das Fleisch darunter welk. Innerhalb von Minuten sah Éva dreißig Jahre älter aus, und die Veränderungen gingen weiter. Ihre Wangen sanken ein. Ihre Augen wurden trüb. Die Farbe verblasste.
    Weitere Schuppen verbrannter Haut wehten in den Himmel.
    Éva seufzte durch verschrumpelte Lippen hindurch. Und schließlich, als das lebendige Fleisch unter ihren Fingern anfing zu zucken, als Hannahs Lungen sich mit Luft füllten, sackte die alte Frau ins Gras, die Augen geschlossen, und aller Atem wich aus ihr.
    Sebastien fiel neben ihr auf die Knie und flüsterte unablässig ihren Namen.

Epilog
    G abriel saß neben ihr auf der Bank, als die Herbstsonne hinter den Horizont sank. Sie konnte den Sonnenuntergang nicht sehen, das goldene Licht, das sich über den Himmel hinweg ausbreitete, doch sie spürte die Wärme der Strahlen auf ihrem Gesicht, und es fühlte sich gut an.
    Er ließ sie tagsüber nicht nach draußen, weil er befürchtete, die Mittagssonne könnte ihre neue Haut schädigen. Er ließ sie auch nicht längere Zeit allein. Es störte sie nicht. Im Gegenteil, sie war ihm sogar dankbar dafür. Die Erinnerungen an die Geschehnisse der letzten Tage waren immer noch viel zu ungeheuerlich, um sie alleine zu ertragen. Ihr Körper mochte geheilt sein, doch ihr Verstand war es nicht. Noch nicht.
    «Du bist still», sagte sie.
    «Ich habe nachgedacht», sagte er. «Über sie. Alle beide.»
    «Wie geht es ihr?»
    «Sie stirbt. Aber sie ist glücklich.»
    «Hat sie Schmerzen?»
    «Ein wenig. Die üblichen Schmerzen des Alters eben. Keine Sorge, sie wird nicht heute sterben, auch nicht nächste Woche.»
    «Sie hat so viel geopfert», sagte Hannah. Sie hatte Mühe, ihre Emotionen zu kontrollieren. Das Salz ihrer Tränen würde auf ihrer empfindlichen Haut brennen.
    «Sie ist
glücklich
, Hannah. Das ist das Merkwürdige daran. Meine Mutter und Sebastien. Es ist unglaublich. Sie hat vielleicht noch einen Monat oder ein Jahr, wer weiß. Wie alt ist er? Achtzig? Er hat auch nur noch wenig Zeit. Und trotzdem ist es, als wären beide plötzlich wieder Mitte zwanzig.»
    Der Wind wehte den Duft von Herbstfrüchten heran. Hannah wusste, dass Gabriel sie beobachtete. Unsicher hob sie eine Hand, betastete die Bandagen vor ihren Augen. «Nicht.»
    «Was?»
    «Sieh mich nicht an.»
    «Du wirst wieder gesund, weißt du?»
    Sie atmete tief durch. «Ich vermisse ihn so sehr, Gabriel. Jede Stunde, jede Sekunde. Nate ist tot, ich weiß. Ich weiß auch, dass ich ihn niemals wiedersehen werde, zumindest nicht in diesem Leben. Aber ich liebe ihn immer noch.»
    Sie hörte, wie ihre Stimme brach. «Ich werde ihn immer lieben.»
    «Und so soll es auch sein.»
    Sie streckte die Hand nach Gabriel aus und fand seinen Arm, seine Hand. «Du warst so gut zu uns. So geduldig.»
    «Hey, ich habe jede Menge Zeit, schon vergessen?»
    Sie konnte das Grinsen auf seinen Lippen spüren, und plötzlich musste sie selbst lachen. «Wenn das, was ich gehört habe, wahr ist, dann haben wir beide eine Menge Zeit.»
    «Erinnerst du dich an jenen Abend in der Küche, als ich dir das
lélekfeltárás
gezeigt habe?»
    «Was ist damit?»
    «Ich habe etwas in deinen Augen gesehen. Oder dachte zumindest, ich hätte es gesehen. Nur für einen kurzen Moment, einen Sekundenbruchteil. Dann war es verschwunden.»
    «Nun, du wirst es nicht wieder sehen.»
    Sie hatten Hannah zwar das Leben zurückgeben können, doch ihr Augenlicht war verloren.
    «Es gibt noch andere Dinge, die ich dir zeigen kann. Dinge, die ich Leah zeigen kann. Wenn ihr beide bereit seid.»
    «Ich bin nicht sicher, Gabriel. Ich bin nicht sicher, ob ich das will.»
    «Du wirst es
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