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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Autoren: Stefan Aust
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zogen.
    Der Selbstmord der Gefangenen im siebten Stock von Stammheim sei, sagte 2007 der ehemalige BKA -Chef Horst Herold, »eine Katastrophe für den Staat« gewesen. Daß der Selbstmord »unter den Augen des Staates geschehen konnte, ist eine Schande«, so Herold, »es war doch abzusehen, daß daraus Legenden entstanden, das dient der Heroisierung der RAF .«

Nachspiel
    Aus der »Rote Armee Fraktion« war eine tote Armee geworden. Auf dem Dornhaldenfriedhof von Stuttgart hatte eine Unterstützerszene Abschied von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe genommen, die in den Kämpfern der RAF vor allem Opfer sah. Ihr Selbstmord galt ihr als Mord, ganz gleich, ob sie sich in ihren Zellen selbst umgebracht hatten oder nicht. Die wirklichen Opfer der RAF , die zerrissenen Leichen der Bombenanschläge, die erschossenen Polizisten, der ermordetete Generalbundesanwalt und seine Begleiter, der entführte und hinterrücks erschossene Arbeitgeberpräsident mitsamt Fahrer und Leibwächter, wurden eher schulterzuckend zur Kenntnis genommen, manchmal sogar mit einer »klammheimlichen Freude«.
    Die Gründer der RAF , Baader, Meinhof und Ensslin, wuchsen zu Ikonen heran. Verschwommene Zeichnungen ihrer Leichenfotos wurden zu hochbezahlten Kunstwerken, die es bis ins Museum of Modern Art in New York schafften. Der quasireligiöse Charakter ihres irren Kreuzzuges, der vom 2 . Juni 1967 bis zum 18 . Oktober 1977 dauerte, zehn Jahre, die die Republik erschütterten, hatte sie im Weltbild mancher deutschen Linken unsterblich gemacht. »Ich will etwas getan haben«, hatte Gudrun Ensslin nach dem Brandanschlag auf zwei Frankfurter Kaufhäuser gesagt.
    Das überstrenge Gewissen, das im Ensslinschen Pastorenhaushalt gepflegt und kultiviert worden war, drängte offenbar nach gewaltsamem Ausbruch. So trug Gudruns Kampf gegen das »Schweinesystem« von Anfang an religiöse Züge.
    Sie und ihre Kampfgefährten hatten sich selbst nie als Terroristen gesehen, sondern als legitime Widerstands- und Freiheitskämpfer gegen ein unmenschliches »System«, legitimiert durch ein geradezu religiöses Recht auf Widerstand gegen Tyrannen jeglicher Organisationsform. Die blutige, inhumane Wirklichkeit der eigenen Handlungen blendeten sie weitgehend aus. Nur in Anspielungen auf Bertolt Brechts Revolutionsdrama »Die Maßnahme« schimmerte gelegentlich auf, daß zumindest Ulrike Meinhof eine Ahnung von der Ungeheuerlichkeit des eigenen Tuns hatte: »Welche Niedrigkeit begingest du nicht, um die Niedrigkeit auszutilgen«, zitierte sie Brecht und fügte hinzu: »Klar, ein ekelhafter Gedanke …«
    Die Stammheimer Gründer der RAF waren schon zu Lebzeiten Projektionsflächen zur beliebigen Verwendung geworden. Das Bild vom Staatsfeind Nummer  1 fand seine Entsprechung in der gläubigen Verklärung durch die Angehörigen der zweiten RAF -Generation. Die Stammheimer zu befreien war zu ihrem Lebensinhalt geworden. Für die Stammheimer zu morden und im Zweifel zu sterben wurde für sie zum kategorischen Imperativ revolutionärer Selbstverwirklichung.
    Jetzt saßen sie in Bagdad, die Hinterbliebenen der Revolution. Ihr Ziel, die Befreiung der Stammheimer, war dreifach gescheitert. Die Bundesregierung hatte sich auch durch die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, Inbegriff aller Kapitalisten, nicht erpressen lassen. Die Passagiere der »Landshut« waren in Mogadischu durch den Einsatz der Antiterroreinheit GSG 9 befreit worden. Die Gefangenen im siebten Stock der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim hatten sich durch ihren Selbstmord aus dem Hochsicherheitstrakt befreit. Sie konnten nicht mehr freigepreßt werden. Die RAF hatte ihr Ziel verloren.
    Jahre später fanden sich mehrere RAF -Mitglieder nach der Verbüßung ihrer Haftstrafen in einer Psychogruppe zusammen, um die gemeinsame terroristische Vergangenheit aufzuarbeiten. Einer der Täter von Stockholm, Karl-Heinz Dellwo, kam zu der Erkenntnis:
    »Seltsamerweise hat mich später ihr Tod mit ihnen versöhnt. Die aufbrausenden Gefühle, als die Nachricht kam: Darin steckte auch der Zorn, daß sie sich vom Acker gemacht haben und uns die Suppe auslöffeln lassen. Heute sage ich mir: Sie haben für sich politische Kriterien gehalten oder sind dahin zurückgekehrt. Die Unverhältnismäßigkeit ist die Barbarei. Seit Jahren schon drehte sich alles um die Befreiung der Gefangenen. Von uns waren einige dafür gestorben, andere sind ins Gefängnis gekommen oder haben andere Folgen auf
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