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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Autoren: Stefan Aust
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der Lage, viele Rätsel zu lösen. Es wird gemauert und geleugnet. Dabei ist ganz besonders die Frage, ob in der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim auch zur Zeit der Schleyer-Entführung abgehört worden ist oder nicht, noch immer von erheblicher Bedeutung.
    Falls die Gespräche zwischen Baader, Ensslin und Raspe abgehört worden sind – was findet sich auf den möglicherweise vorhandenen Tonbändern der Todesnacht? Ist die Verabredung zum Selbstmord belauscht worden? Was taten die Abhörer? Oder lief nur ein Tonband mit? Was geschah mit den Aufnahmen? Warum unterliegen Dokumente zum Thema RAF und Stammheim immer noch der Geheimhaltung?
    Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, daß die Todesnacht von Stammheim quasi unter staatlicher Aufsicht stand. Die Landesregierung Baden-Württemberg mußte im Frühjahr 1977 einräumen, daß Beamte des Landeskriminalamts phasenweise die Häftlinge in Stammheim abgehört hatten. Es ist schwer vorstellbar, daß sie ausgerechnet in den Wochen, in denen es für Hanns Martin Schleyer um Leben und Tod ging, ihre Wanzen nicht nutzten.
    Man kann davon ausgehen, daß die Gefangenen zwei Leitungssysteme im Hochsicherheitstrakt verwendeten, um während der Kontaktsperre miteinander zu kommunizieren. Konnte dies wirklich den Beamten in Stammheim entgangen sein?
    Ein leitender Kriminalbeamter aus der Abteilung  8 , dem Staatsschutz, des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, der damals direkt mit Stammheim zu tun hatte und nicht genannt werden möchte, sagte 2007 : »Das ist ja nun ein ganz heißes Stück, eine ganz heiße Kiste. Die Probleme und Schwierigkeiten, die es damals gegeben hat in der besagten Nacht, das waren schon ein paar größere Dinge. Die hab ich eigentlich noch nirgendwo richtig gelesen. Und da hab ich immer gedacht, irgendwann kommt mal einer dahinter.«
    Bereits am zweiten Prozeßtag, dem 5 . Juni 1975 , hatte Andreas Baader sich beim Vorsitzenden darüber beschwert, daß Gespräche der Angeklagten mit ihren Verteidigern abgehört worden seien: »Durch Abhörgeräte in den Besuchszellen für Verteidigerbesuche, von denen wir seit Sommer ’ 73 wissen.« Baaders Bemerkungen führten, wie geschildert, in der Öffentlichkeit zu Kopfschütteln. Man konnte sich nicht vorstellen, daß Behörden der Bundesrepublik Deutschland mit Hilfe von Wanzen und Tonbandgeräten in das streng geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Verteidigern und Angeklagten eingreifen würden. Die Bemerkung wurde eher als Ausdruck des paranoiden Wahns der Baader-Meinhof-Gruppe betrachtet. Tatsächlich hatte Baader so unrecht nicht.
    Zu Weihnachten 1974 hatte der Präsident des Bundeskriminalamtes, Horst Herold, eigenhändig einen Entwurf für die »Bekämpfung anarchistischer Gewaltkriminalität« getippt und an das Bundesinnenministerium geschickt. Es ging um »Offensivmaßnahmen gegen die Ebene der Zellen« und »gegen die Ebene der Verteidiger«. Federführend sollte dabei das Landeskriminalamt ( LKA ) Baden-Württemberg sein.
    In dem als » VS  – Vertraulich, amtlich geheim halten« klassifizierten Dokument heißt es in einem langen Maßnahmenkatalog: »Lauschmitteleinsatz zur polizeilichen Gefahrenabwehr – bei Gesprächen von RAF -Gefangenen untereinander« sowie »Schaffung der Befugnis, Gespräche zwischen verdächtigen Verteidigern und RAF -Gefangenen zu überwachen«.
    Später sagte Herold, sein Maßnahmenkatalog sei lediglich eine »Wunschvorstellung« gewesen, die niemals umgesetzt worden sei. Der beigefügte Beschlußvorschlag an die Innenministerkonferenz wurde tatsächlich nicht realisiert.
    In den politischen Gremien hielt die Diskussion an. Das geht aus dem Protokoll der sechsten Sitzung des Bundesinnenausschusses vom 8 . März 1977 hervor, als über den Abhörfall Traube debattiert wurde.
    Bundesinnenminister Werner Maihofer sagte damals im Innenausschuß: »Es gibt sogar noch aus dem Jahre 1976 eine gemeinsame Vorlage, die damals zwischen Justiz und Innenministerium erörtert worden ist, etwa was die Lauschoperationen in Strafanstalten anlangt. Das war ja damals mit der Verteidigerüberwachung ein Riesenproblem: auf keinen Fall einen solchen Einsatz bei der Verteidigerüberwachung, auch nicht in solchen Terroristenfällen, weil das ja noch einmal eine zusätzliche Kollision mit diesem Kernbestand unserer Rechtsstaatlichkeit bedeutet.«
    Beim Abhören von Verteidigergesprächen wollte man sich also zurückhalten. Für das Abhören von Strafgefangenen aber gab es freie Bahn.
    Ende
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