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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser
Autoren: Marcus Sakey
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weil er reich ist …«
    »Eigentlich logisch, dass er in der Gastronomie tätig ist.« Ian fuhr sich mit der Zunge über das angenehm taube Zahnfleisch. »Oder die Reinigung … Da läuft alles mit Bargeld. Wahrscheinlich hat er sich still und leise eingekauft, und er hat seine Leute, die den Laden schmeißen, während er zuschaut, wie sein Geldberg vor sich hin wächst. Man muss ihn fast schon bewundern.«
    »Oder hassen.«
    »Das ist doch praktisch dasselbe.«
    »Und was war das vorhin mit Alex? Was sollte das? Denkt der, ich wär nicht gegen den Typen angekommen?« Mitch straffte die Schultern. »Den hätte ich fertiggemacht! Aber ich weiß schon, was ihr von mir denkt. Ihr seid wie alle anderen. Wie die lieben Gäste im Hotel. Geben dir fünf Dollar Trinkgeld und meinen dann, sie könnten dich herumkommandieren wie einen Leibeigenen.« Er musste aufstoßen. »Natürlich, Massa. Ich halte Ihnen gerne die Tür auf. Danke, Massa. Aber noch schlimmer ist es, wenn sie dich behandeln, als wärst du gar nicht da. Wie einen Fußabtreter.«
    Ian sah ihn an. »Warst du schon mal zocken?«
    »Was?«
    »Na ja, so Black Jack, Roulette …«
    »Äh … nein.«
    »Solltest du vielleicht mal probieren. Gewinnen ist das geilste Gefühl überhaupt.« Er lächelte. »Nein, der Moment davor ist noch geiler. Wenn du gerade gesetzt hast und die Kugel zum Stillstand kommt. Oder kurz bevor die Karte umgedreht wird. Das ist der Hammer. Einmal …« Allmählich kam er in Fahrt. »Einmal war ich draußen im Hafen beim Black Jack, und plötzlich legt mir der Croupier zwei Neunen hin. Und was mach ich? Ich teile meine Hand. Weißt du, was das bedeutet? Du setzt noch mehr Geld und spielst praktisch zwei Spiele auf einmal. Okay, ich bekomme die nächste Karte – wieder eine Neun. Also teile ich noch mal. Nächste Karte. Wieder eine Neun! Unglaublich, was? Natürlich teile ich noch mal. Das war der reinste Wahnsinn. Ich hätte ewig so weitermachen können, der Croupier gibt mir eine Neun nach der anderen, und mein Einsatz wird immer größer.«
    Für einen Moment sagte Mitch gar nichts, bevor er sich räusperte. »Sogar bei diesem Fragespiel.«
    »Hä?«
    »Na bei dem Spiel, das du spielen wolltest. Wo Jenn gefragt hat, was wir mit einer halben Million anstellen würden.«
    »Was ist damit?«
    »Mich hat keiner gefragt. Alex will sich ein Haus kaufen, wegen seiner Tochter, du willst deinen Job schmeißen, Jenn will herumreisen. Aber keiner hat gefragt, was ich tun würde.«
    »Was würdest du denn tun?«
    Mitch öffnete den Mund, schloss ihn wieder und rang die Hände. »Darum geht’s doch gar nicht. Mich hat einfach niemand gefragt. Als wär ich gar nicht da.«
    »Aber jetzt frag ich dich. Also, was würdest du tun?«
    »Was weiß ich. Im Moment bin ich nur noch müde. Und besoffen.« Er machte eine Pause. »Und wie ging’s weiter?«
    »Wie?«
    »Na, mit den Neunen.«
    »Tja, der Croupier hatte eine Drei und eine Acht. Und dann hat er eine Zehn gezogen. Einundzwanzig.«
    »Das heißt, du hast alles verloren?«
    »Ja, aber das ist nicht das Entscheidende.« Ian spürte, dass er dringend Nachschub brauchte, oder wenigstens einen Drink. Sein Rausch gerann zu einem zähflüssigen Nebel, und dahinter lauerten Probleme, die nur auf eine Lücke in seiner Deckung warteten. »Das Entscheidende war dieser eine Moment, in dem ich alles gewinnen konnte. Und mit jeder Neun hat sich der Moment gedehnt, er wurde immer größer. Genau wie mein Gewinn.«
    »Aber dann hast du alles verloren.«
    »Stimmt schon, aber …«
    »Also hast du gar nichts gewonnen. Ganz im Gegenteil, du hast viermal so viel verloren.«
    Ian lachte. »Wie das Leben so spielt.« Er schaute aus dem Fenster auf die verrammelten Läden und erleuchteten Kneipen, auf die Massen der Nachtschwärmer. Chicago im Sommer war perfekt – jedes Fenster war geöffnet, lachende Stimmen und laute Musik schwappten hinaus in die warme Luft. Er genoss es, im Taxi durch die Nacht zu gleiten. Eine Glasscheibe trennte ihn vom Rest der Welt, doch wenn er wollte, musste er nur die Hand ausstrecken, und schon konnte er all das berühren. Ein Blick auf den Mann hinter dem Steuer. Die meisten Taxifahrer waren furchtbar steife Typen aus dem Nahen Osten, aber der Typ war eine Ausnahme, ein Schwarzer mittleren Alters mit Kangol-Kappe auf dem Kopf. Was soll’s? Was konnte schon passieren? Ian zog die bernsteinfarbene Ampulle aus der Tasche. Bloß nicht zu viel nachdenken. Er kippte sich ein kleines Häufchen auf
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