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Der Ausloeser

Der Ausloeser

Titel: Der Ausloeser
Autoren: Marcus Sakey
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offen für alles. Ich hatte keine Ahnung, wie sich der Abend entwickeln würde. Vielleicht würde ich einen total spannenden Menschen kennenlernen. Oder in einem Brunnen tanzen. Oder ein Gespräch führen, das meine ganze Weltsicht verändert. Eben etwas Unglaubliches erleben, ein Abenteuer. Irgendwas, das wirklich von Bedeutung ist. Damals … Damals dachte ich immer: Gleich geht’s los. Kennst du das?«
    Er nickte, ohne etwas zu sagen.
    »Heute ist es anders. Klar, ich gehe immer noch aus. Wenn ich nicht gerade in der Arbeit hocke und irgendwelche Reisen in irgendwelche Länder buche, in denen ich noch nie war und wahrscheinlich nie hinkommen werde. Aber wo ist der Sinn? Das ist doch alles bedeutungslos. Die Vergangenheit ist Vergangenheit, und es ist überhaupt nichts passiert, jedenfalls nichts Unglaubliches. Ich fühle mich, als wäre ich aus der Zeit gefallen. Und jetzt kann ich nur noch zuschauen, wie ich mich langsam in meine Mutter verwandle.«
    »Wäre das so schlimm?«
    »Du kennst meine Mutter nicht.«
    Alex lachte, warf die leere Flasche in den Mülleimer und holte sich eine neue. »Ja, das kenn ich. Als ich zwanzig war, wusste ich auch, wo’s langgeht. Ich hatte einen Plan: meinen Abschluss machen, Jura studieren, einen coolen Job in der Innenstadt finden. Und dann ist Trish schwanger geworden.« Er hielt inne. »Ich war ja für eine Abtreibung, aber sie meinte, nein, das würde sie sich nie verzeihen. Und deshalb …« Er tupfte zwei Anführungszeichen in die Luft. »… habe ich das Richtige getan. Das College geschmissen, geheiratet und mir eine Stelle als Barkeeper gesucht. Ich dachte, ich könnte ja immer noch einen Wochenendkurs machen.«
    »Hast du aber nicht.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, aber das war schon in Ordnung so, denn dann kam Cassie, und sie ist das Beste, was ich jemals zustande gebracht habe. Also eigentlich das Einzige. Als ich dieses kleine, verschrumpelte, feuerrote Etwas gesehen habe … Ich weiß auch nicht, aber da ist es einfach verschwunden, dieses Gefühl, von dem du eben gesprochen hast. Diese Angst.«
    »Hast du noch Kontakt zu deiner Ex?«
    »Zu Trish? Klar. Ich sehe sie jedes Mal, wenn ich Cassie abhole. Sie hat wieder geheiratet, einen Businesstypen, kein schlechter Kerl. Arbeitet irgendwo in der Innenstadt.«
    »Und sie?«
    »Sie …« Alex zögerte. »Sie hält nicht mehr so große Stücke auf mich.«
    Das Gespräch versiegte. Jenn lauschte dem Summen der Deckenlampe, Alex stierte auf seine Bierflasche. Seit über einem Jahr schliefen sie heimlich miteinander. Sie hatten ein gemeinsames Geheimnis, obwohl es in ihrer Vierergruppe eigentlich keine Geheimnisse gab, und trotzdem, so persönlich wie heute Abend hatten sie sich noch nie unterhalten. Erst jetzt begriff sie, dass sie mit ihren unendlichen Fragespielchen nicht nur die Außenwelt auf Abstand hielten – sie hielten sich auch gegenseitig auf Abstand. Sie schotteten sich ab.
    Ihre Erwartungen ans Leben waren ganz einfach gewesen: ein bisschen Abenteuer, ein bisschen was Aufregendes, vielleicht auch Gefährliches, und am Ende eine entsprechende Belohnung. Ein bisschen Sinn. Und jetzt? Jetzt stand sie splitterfasernackt in der Küche eines Typen, den sie nur zu gut und zugleich überhaupt nicht kannte. Ein Fickfreund eben. Nein, damit ging sie kein Risiko ein, damit verfolgte sie keine hochfliegenden Ziele. Damit schlug sie bloß die Zeit tot.
    »Weißt du was?« Jenn leerte ihr Bier. »Ich geh lieber heim.«
    Überrascht blickte Alex auf. »Wirklich?«
    »Ja. Hab morgen früh was zu erledigen. Du weißt schon.« Sie warf die Flasche in den Mülleimer und ging ins Schlafzimmer, wo sie Slip und BH in die Handtasche stopfte, Jeans und Shirt überzog und sich schließlich auf die Bettkante hockte, um ihre Stiefel über die Füße zu zerren. Hinter ihr lagen die verknäulten, verschwitzten Laken. Ein Bild blitzte vor ihrem inneren Auge auf – Alex unter ihr, den Rücken gewölbt, sie auf ihm drauf, die Beine gespreizt, der Schweiß zwischen ihren Brüsten, ihr zurückgeworfener Kopf … Kurz zögerte sie, doch dieses Gefühl war nicht verflogen, diese Mischung aus Frustration und vager Panik und ja, ein bisschen Selbsthass war wohl auch dabei. Sie zog den Reißverschluss ihrer Stiefel zu.
    Eine kurze Umarmung an der Tür, ein Kuss auf die Wange. »Viel Spaß mit Cassie morgen.«
    »Danke. Was ist mit unserem Viererbrunch am Samstag? Bist du dabei?«
    »Klar«, sagte sie. »Warum nicht?«
    »Hey.« Er stand
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