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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug
Autoren: Renate Dorrestein
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Ungewisse erinnerte. Sie konnte ihr nicht in die Augen sehen, ohne sich bewusst zu werden, dass das Leben erheblich weniger sicher und verlässlich war, als sie ertragen konnte. Seit ihrem wundersamen Abenteuer verkörperte ihre Tochter gleichsam das Allerunerträglichste: Unsicherheit.
    Sie legte sie in den Bollerwagen zurück und zog ihr mit einem Gefühl der Machtlosigkeit die Decke bis zum Kinn. Wiiuh, wiiuh, wiiuh!, ertönte es über ihrem Kopf. Die Pfeifenten waren zurückgekehrt. Die ersten ließen sich auf der Weide jenseits des Wassers nieder, während der Rest des Schwarms nervös umherkreiste. Alles sicher? Alles sicher?
    Gwen folgte ihnen mit den Blicken. Es machte sie betroffen, dass auch den Vögeln oder den Bienen keinerlei Sicherheit vergönnt war. Unsicherheit war offenbar ein Wesensmerkmal des Daseins. Plötzlich schämte sie sich. Man hatte sich halt damit abzufinden, dass man nie wusste, woran man war. Wenn die gesamte Natur das konnte, sollte es ihr doch wohl auch gelingen.
    Babette girrte zufrieden, als stimme sie ihr zu. Wie weise sie war, die Kleine. Erst sechs Monate alt, doch sie hatte schon einen ganzen Teil des Lebens hinter sich, von dem ihre Mama nie etwas erfahren würde. Aber sie selbst würde sich auch nicht daran erinnern können. Das war komischerweise ein Trost. »Wir kriegen das schon hin, wir zwei«, sagte Gwen leise. »Wir versuchen es zumindest mal. Oder was meinst du?«
    Vor sich hinmurmelnd kam Bobbie mit Toby an der Hand in die Küche. Seine Haare waren nass, und er trug den Judo-Anzug von einem der Engel, dessen Saum ihm ungefähr bis auf die nackten Zehen ging. »Tante Rollmops!«, rief er überrascht aus.
    »Ja, wen haben wir denn da!«, sagte Beatrijs und breitete dieArme aus. »Na, du siehst aber stark aus.« Sie fing ihn auf und zog ihn zu sich auf den Schoß, sich den stechenden Schmerz in ihrem Knie verbeißend.
    »Ich konnte auf die Schnelle nichts anderes finden«, sagte Bobbie. »Seine Sachen sind alle im Trockner, mitsamt seinen Turnschuhen.« Sie sah aufgebracht aus.
    In den übergroßen Ärmeln suchte Beatrijs nach Tobys schmalen Händchen und drückte sie. »Was war denn nun passiert, Jungchen?«
    »Erzähl mal«, sagte Bobbie. »Erzähl mal, was Yaja mit dir gemacht hat.«
    Erschrocken schaute Beatrijs zu Leander. Aber sie verspürte auch so etwas wie Triumph. Bekam Yaja jetzt endlich mal einen Denkzettel verpasst?
    »Na, jedenfalls ist der kleine Kerl schon wieder putzmunter.« Mit verkniffenem Lächeln nickte Leander Toby zu. »Das ist doch das Wichtigste. Oder?«
    Die Tür flog auf, und Yaja stürmte herein. Sie war bleich vor Wut. »Aha!«, rief sie und blickte reihum. »Zieht ihr hier schön über mich her? Bin ich wieder an allem schuld? Seid ihr wieder alle einer Meinung? Nur zu, tut euch keinen Zwang an! Die Meckerzicke hat mich rausgeschmissen! Das ist echt die...«
    »Führ dich nicht so auf«, sagte Beatrijs. »Du wolltest doch selbst von hier weg.«
    Yaja feuerte einen Blick voll kaltem Abscheu auf sie ab. »Kannst du die Alte nicht abservieren, Pa? Du wolltest mich doch decken! Und jetzt bekomme ich doch noch die Schuld! Du hast selbst gesagt: Geh schnell mit...«
    »Ich habe sofort Hilfe geholt«, sagte Leander. Er sprach sehr leise, als nahe eine Migräneattacke.
    »Und dieser Gwen wolltest du sagen, dass ich längst weg war! Auf dich kann man sich auch nicht verlassen! Sülzkopf!
    Erst soll ich unbedingt hierher, weil du mich nicht bei dir haben willst, und dann kann ich wieder abstinken, weil sie mich nicht will. Ich bin doch kein Sack Kartoffeln, den man ständig in der Gegend herumverfrachten kann. Ich will auch irgendwo hingehören.« Ohne Übergang fing sie an zu weinen.
    Es blieb einen Moment still.
    Beatrijs blickte starr auf Tobys nassen Scheitel. Sie war sich nicht sicher, ob sie all das, was Yaja gerade vorgebracht hatte, genau verstanden hatte, aber das wollte sie auch eigentlich gar nicht. Irgendetwas sagte ihr, dass es sie furchtbar unglücklich machen würde.
    Leander zog ein Taschentuch hervor und ging auf seine Tochter zu. »Niemand gibt dir für irgendetwas die Schuld, und niemand nimmt dir etwas übel. Es ist ja schließlich gar nichts passiert.«
    »Ach nein?«, brauste Bobbie auf, die am Herd stand. »Das ist ja wohl verkehrte Welt! Jetzt reicht’s aber!«
    Leander blieb stehen und fuhr sich mit der Hand an die Stirn. Als müsse er unendliche Geduld an den Tag legen, sagte er: »Es ist nichts Irreparables passiert, Bobbie.
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