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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug
Autoren: Renate Dorrestein
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»Selbstverständlich«, sagte er dankbar.
    Sie reichte ihm ihren Kittel. »Gut aufpassen mit dem Wechselgeld, ja? Und die Wabenkerzen sind diese Woche im Angebot.«
    »Zwei zum Preis von einer?«
    »Ja, was sonst?« Sie sah ihn an, als zweifle sie plötzlich an seinen Fähigkeiten.
    »Ich habe alles unter Kontrolle, Bobbie. Es kann bestimmt nichts schief gehen.«
    Als sie weg war, zog er nach kurzem Zögern ihren Kittel an. War das so gemeint gewesen? Er war ihm unter den Armen zu eng, aber das machte nichts. Ach, könnte man doch durch das Tragen der Kleidung eines anderen auch dessen Persönlichkeit annehmen. In Bobbies Herz herrschte gewiss größerer Frieden als in seinem.
    Er setzte sich auf ihren Stuhl, verschränkte die Arme auf der Ladentheke und legte seinen Kopf darauf. Er sah Niels wieder vor sich, gestern Abend, mit Veronicas Parfümfläschchen in der Hand. Wieder war ihm, als bebte die Erde unter seinen Füßen.
    Es konnte also keine Rede davon sein, dass sie es auf ihn abgesehen gehabt hätte. Wie sollte sie auch? Sie war tot. Das war seine wirkliche Strafe: Dass sie tot war, unwiderruflich, für immer.
    Sie hatten noch versucht, sie zu reanimieren. Er hatte die halbe Nacht neben ihr und diesem Monitor gesessen, fassungslos vor Angst und Selbstvorwürfen. Als keine Hoffnung mehr bestanden hatte, hatte der Dienst habende Arzt gesagt, wie grausam es doch sei, dass das so ohne weiteres passieren könne, sogar bei jungen, kerngesunden Menschen: Ein schwaches Blutgefäß, das platzte, und man war Vergangenheit.
    Nur war es nicht so ohne weiteres passiert. An jenem Abend hatte er ihr zum wer weiß wie vielten Mal über ihr Abenteuer im Zug auf den Zahn gefühlt, bis zur Erschöpfung. Gleich nach der Arbeit, noch im Mantel, hatte er sie in der Küche angefahren. Niels war beunruhigt herbeigelaufen, gerade als er sie eine Schlampe geschimpft hatte.
    »Was ist eine Schlampe?« Das Gesicht des Jungen.
    Er hatte sich beherrscht, aber nicht lange. Kaum lagen die Kinder im Bett, waren seine verletzten Gefühle wieder mit ihm durchgegangen.
    »Erzähl doch mal, seid ihr eigentlich beide gleichzeitig gekommen?«
    »Laurens, damit quälst du dich doch nur selbst.«
    »Oder war er so nobel, dass er dir den Vortritt ließ, bevor er seinen Samen in dich spritzte?«
    »Hör auf, mich so in die Enge zu treiben!«
    »Und welches Stadium der Entkleidung muss ich mir im Übrigen dabei vorstellen, so im Zug? Kam er an deine Titten ran?«
    »Das ist krank, weißt du das, wie du...«
    »Ach, gesund ist es dann wohl, sich vom erstbesten Teenager ficken zu lassen, der gerade des Weges kommt. Hatte er überhaupt schon Haare auf den Eiern? Veronica? Ich hab dich was gefragt!«
    Er wusste nicht mal, was er eigentlich von ihr wollte, aber er war wie aufgezogen. Stundenlang konnte er so weitermachen, sie ununterbrochen bedrängen. Er musste und würde alles haarklein erfahren, konnte dabei aber nicht mal recht auseinander halten, ob sein Ekel nur sie betraf oder auch ihn selbst. In der dumpfen Ahnung, dass er sich erst würde beruhigen können, wenn er bis in die kleinsten Einzelheiten wusste, wozu seine Frau imstande war, löcherte er sie weiter. Keine Ahnung zu haben, wie es genau abgelaufen war, das war es, was ihn zum Wahnsinn trieb.
    Doch sosehr er auch bohrte, triezte, drohte, plädierte, sie gab bitterwenig preis. Es würde ihm dann nur noch schlechter gehen, wenn er alle Details wüsste, sagte sie. Ach ja? Ach ja? Wie spektakulär war es da wohl zugegangen, wenn sie glaubte, ihm diese Fakten verschweigen zu müssen? Wenn Genaueres ihn zum Durchdrehen brächte, dann war es offenbar noch viel toller zugegangen, als er ohnehin schon befürchtet hatte. Dann war es nicht einfach nur ein Ausrutscher gewesen, sondern wohl ein unvergessliches Erlebnis.
    »Mann, ich hätte es längst vergessen, wenn du nicht so darauf herumhacken würdest, tagaus, tagein.«
    »Ach, so ist das bei dir also? Völlig egal, wer seinen Schwanz in dich steckt, Hauptsache schnell mal gevögelt und dann zurück zur Tagesordnung?«
    Und so erschien ihr Fehltritt mit jedem Wort, das er doch noch aus ihr herauszupressen verstand, immer größer. Er wandte seine ganze Willensstärke auf, um sie mit dem Rücken gegen die Wand zu spielen, bis in alle Fasern lauerte er auf Widersprüche, Verdrehungen oder Ausflüchte. Er hatte nichts anderes, woran er sich klammern konnte, als seine eigene Hartnäckigkeit. Es war eine Frage der Beharrlichkeit. Einem solchen
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