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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug
Autoren: Renate Dorrestein
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schwadronierst ja schon seit Stunden über deine Bienen.«
    Die gute Gwen. Wenn Krieg ausbrechen sollte, würde man, ohne lange zu überlegen, bei ihr untertauchen. Auch unter schlimmsten Bedingungen würde bei ihr auf dem Herd ein Topf Suppe köcheln, und irgendwo tief in Gwen drinnen würden noch ungeborene Kinder plappernd und schnatternd und unerschütterlich wie eh und je bunte Papierstreifen falten und kleben. Gwen warf immer paarweise. Das jüngste Baby war ihr erster Einling.
    Laurens lockerte seine Muskeln, die vom langen Sitzen ganz steif waren. »Ob sie noch mal wiederkommen?«, fragte er unvermittelt. »Was meint ihr?«
    Timo, aus dem Konzept gebracht, schwieg. Gwen kratzte sich am Bein.
    »Was findet Beatrijs nur an diesem Kotzbrocken?« Laurens konnte sich schon wieder über den unerwünschten Eindringling in ihre Runde ereifern.
    »Ach, er ist nur etwas...«, versuchte Gwen einzulenken.
    »Spar dir die Mühe, Schatz«, fiel Timo ihr ins Wort. »Der Mann ist ein unglaubliches Trampeltier.« Es war nicht ganz eindeutig, ob er damit den Kotzbrocken meinte oder Laurens.
    »Na, wir werden sehen«, sagte Gwen. »Sie wissen ja, wann es hier Abendessen gibt.«
    »Ihre Sachen stehen auch noch hier«, gab Timo zu bedenken.
    »Dann bleibt uns das also nicht erspart.« Laurens vergrub die Hände in den Hosentaschen und trat resolut auf den Rasen hinaus, um auf andere Gedanken zu kommen. Er konnte gerade noch einem Berg Legosteine ausweichen.
    Da er sich nun ohnehin in Gang gesetzt hatte, konnte er ja auch wirklich mal nach den Kindern sehen. Ein Ziel, und sei es noch so nichtig, verlieh dem Leben Sinn und Bedeutung. Also los. Wo mochten sie stecken, die kleinen Landstreicher? Sie konnten hier überall und nirgends sein. Das alte Gehöft von Gwen und Timo war zwar nicht Aufsehen erregend groß, aber es gab etliche Nebengebäude, und in den Augen eines Städters war das Grundstück riesig. An der Schleuse hieß der Besitz von alters her, und so hatten sie auch ihren Betrieb genannt. Am Rand des Grundstücks, zum Kanal hin, stand ein selbst gemaltes Schild mit einer honigprallen, emsig vor An der Schleuse herumkreisenden Biene. Vorüberfahrende Binnenschiffer und die Freizeitkapitäne von Vergnügungsbooten zollten diesem Kunstwerk wenig Beachtung. Weit mehr Wirkunghatte es dagegen auf Radfahrer und Spaziergänger. Die gönnten sich gern eine kleine Pause für einen Besuch des winzigen Lädchens im Vorderhaus, wo sie ein Glas Schleuderhonig aus eigener Erzeugung erwerben konnten oder ein paar Kerzen, die Gwen mit blühendem Unkraut beklebt hatte, an dem noch Reste von Erde hingen.
    Über den Kiesweg zwischen den seit Jahren nicht gestutzten Büschen lief Laurens an der Kerzenmacherei vorbei. Der Wachsgeruch, der durch die offen stehende Tür ins Freie zog, war so durchdringend, dass er auch ohne hineinzuschauen die vielen Reihen blasser Kerzen in den hölzernen Trockengestellen vor sich sah. An einem warmen Tag wie diesem war das Summen der Bienen etwas weiter weg gut zu hören, ein tiefes, anhaltendes Brummen, als fahre jemand geduldig mit dem Staubsauger durch Klee und Thymian.
    Wie schön hatten sie es hier doch immer alle gehabt, Sommer für Sommer. Und nun hatten sie diesen Besserwisser am Hals, mit dem Beatrijs neuerdings das Leben zu teilen beliebte. Ausgerechnet jetzt. Als müssten sie sich nicht noch alle mühsam an die Lücke gewöhnen, die Veronica hinterlassen hatte, oder besser gesagt, die zahllosen Leerstellen, in denen sie sich bemerkbar machte. Immer wieder der Schock des Verlusts. Ihre traditionelle Schokoladentorte zum Nachtisch am ersten Abend, die jetzt gefehlt hatte. Ihre schrägen Limericks bei Tisch, die Lieder, mit denen sie den Kindern über den gigantischen Abwasch hinweghalf, ihre urkomischen Erzählungen zu den spätabendlichen Gläsern Wein, die laufend wieder gefüllt wurden: Sie hatten ohne das alles auskommen müssen. Jeder Moment, jede Handlung, jeder untereinander gewechselte Blick ließ ihre Abwesenheit tiefer ins Bewusstsein eindringen. Gerade dadurch, dass sie nicht mehr da war, war sie in gewissem Sinne anwesender denn je: Hinter jeder Tür erwartete man immer noch halb ihre Stimme, ihre Schritte.
    Was hatte ein Wildfremder dabei zu suchen, jemand, der Veronica nicht mal gekannt hatte?
    Ein Knacken im Gebüsch lenkte Laurens ab, und er blieb stehen.
    Gwens Zwillinge waren berüchtigt für ihre Hinterhalte. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich aus einem Baum auf ihn
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