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Der Ausflug

Titel: Der Ausflug
Autoren: Renate Dorrestein
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Aktion treten. Ich fahr mal mit dem Fahrrad herum. Vielleicht ist sie zum Teich.«
    Hinter ihm tauchte am grauen Himmel ein Schwarm Pfeifenten auf. Sie flogen so tief, dass ihre durchdringenden Rufe hörbar waren. Wiiuh, wiiuh, wiiuh! Veronica hatte immer gesagt, das bedeute: »Alles sicher? Alles sicher?« Direkt über der Bienenweide machten sie in ungeordneter Formation einen kurzen Schwenk von links nach rechts. Dann ballte sich der ganze Schwarm wieder zusammen und zog zielgerichtet ab.
    Während sie den Vögeln mit dem Blick folgte, stammelte Gwen: »Gut, dann gehe ich in die andere Richtung.« Sie trabte an der Reihe Linden entlang. Über den Knick hinweg ging es auf den schmalen Treidelpfad. Nun, da sie nicht mehr auf eigenem Grund und Boden war, lief sie noch schneller. Die Welt war so entsetzlich groß.
    Weit vor ihr flogen die Pfeifenten als kerzengerade Strichellinie über der Straße am Kanal dahin. Warum war sienicht einfach dankbar für Babettes Rückkehr gewesen? Nur weil sie unbedingt eine Erklärung gewollt hatte, Halt gesucht hatte, hatte sie alles, was ihr lieb war, aufs Spiel gesetzt.
    Vom Rennen tanzten ihr Flecken vor den Augen. Die Landschaft hüpfte in Streifen und Kästchen an ihr vorüber. Vor ihr schimmerte ein himmelblaues Viereck auf, so blau wie der Bollerwagen, den Timo für Babette gebaut hatte, mit ihrem Namen in silbernen Lettern auf der Seite.
    Der Bollerwagen stand am Kanalufer, neben der Bank, auf der Yaja saß. Das Mädchen starrte untätig aufs Wasser. Dass sie damit beschäftigt gewesen wäre, Babette den Kopf vom Rumpf zu drehen, konnte man beim besten Willen nicht behaupten. Sie bemerkte Gwen erst, als die sich neben sie fallen ließ.
    »Mann ey, du erschreckst einen ja zu Tode«, sagte sie schrill.
    Gwen keuchte so sehr, dass sie keinen Ton herausbekam. Nach Atem ringend, beugte sie sich über den Wagen. Babettes große Augen leuchteten auf. Ein sonniges Lächeln trat auf ihr Gesicht.
    Vor Erleichterung fing sie an zu zittern. Sie nahm ihre Tochter auf den Arm und drückte sie an sich, tief den Geruch ihres Köpfchens in sich aufsaugend. »Wenn du mir das noch einmal antust, Yaja, dann...«
    »Ich werd wohl noch mit Babette spazieren gehen dürfen!« »Nicht ohne meine Zustimmung.«
    Yaja sah tief verletzt aus. »Ich wollte ihr nur was Gutes tun. Babette hat sich gelangweilt wie die Pest.«
    »Während du dabei warst, Toby zum Spucken zu bringen? Das ist wirklich die Höhe.« Auf einmal war es um ihre Selbstbeherrschung geschehen. »Du unverantwortliches Drecksgör! Wie kannst du den Kleinen nur in seinem eigenen Erbrochenen liegen lassen? Er hätte ersticken können! Sieh mich an und antworte!«
    Yaja sprang auf und stemmte die Hände in die Seite. »Du hast mir gar nichts zu sagen, Bitch.«
    »Du bist zu weit gegangen. Das weißt du genau!«
    Yajas Wangen röteten sich. Sie schlug die Augen nieder. Dann sagte sie: »Gottogott! Und ich dachte, du würdest dich freuen, dass ich wenigstens was Schönes mit Babette gemacht hab.«
    »So leicht kommst du mir nicht davon.«
    »Denn von dir hat sie ja nichts zu erwarten. Dir ist es ja schon zu viel, ihr auch nur das Fläschchen zu geben. Mann, bist du ’ne Scheißmutter. Scherst dich einen Dreck um sie!«
    Mit bebenden Lippen stieß Gwen hervor: »Geh mir aus den Augen! Pack deine Sachen, und sag deinem Vater, dass er dich mitnehmen soll. Jetzt sofort. Ich gebe dir zehn Minuten.«
    »Du kannst ja nur die Wahrheit nicht ertragen. Ach, leck mich doch!« Yaja versetzte der Bank einen Tritt, warf die Haare über die Schulter und rauschte wütenden Schrittes davon.
    Leander würde nicht gerade begeistert sein, dass sie seine Tochter weggeschickt hatte, aber das war ihr gleichgültig. Sie fühlte sich wie betäubt. Sie zählte bis zehn. Sie zählte bis hundert. Aber auch wenn sie bis tausend zählte, würde es nichts daran ändern, dass von allen Menschen auf Erden ausgerechnet dieses egoistische kleine Biest sie so genau durchschaut hatte. Natürlich war es nicht so, dass sie Babette nicht liebte, aber sie konnte es sich ruhig eingestehen: Sie tat es aus Selbsterhaltungstrieb, mit gewissen Vorbehalten, immer ein wenig auf der Hut. Dass Heranwachsende verschwanden und wieder auftauchten, wie es ihnen beliebte, war eine Sache. Aber ein Baby? Sie hob ihr Töchterchen hoch und schaute es forschend an.
    Es wäre doch wirklich absurd, ihr irgendetwas übel zu nehmen. Aber der Punkt war, dass Babette sie immer wiederunvermutet an das
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