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Der Augenblick der Wahrheit

Titel: Der Augenblick der Wahrheit
Autoren: Leif Davidsen
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und versuchte, seine Arme um meinen Rücken zu legen. Ich glitt unter seinen Armen hindurch und wuchtete ihm den Ellbogen in die Nieren, und er brüllte wieder, aber diesmal wie ein verwundetes Tier. Er hätte eigentlich umkippen müssen, drehte sich aber schwerfällig um und schaute nach seinem Golfschläger. Ich schlug ihm die Rechte hart ins Gesicht, so hart, daß es mir die Haut von den Knöcheln fetzte. Oscar taumelte gegen den Baum, und seine Augen wurden glasig.
    »Verflucht noch mal, Oscar. Ich will nur mit dir reden«, japste ich. »Ich will nur eine Erklärung.«
    Ich konnte kaum sprechen.
    »Warum Amelia? Warum Maria Luisa?« fragte ich, während ich versuchte, meine Atemzüge unter Kontrolle zu bekommen.
    Es schneite jetzt heftig, und die peitschenden Schneeflocken landeten auf Oscars zerschlagenem Gesicht und mischten sich mit dem Blut, das ihm aus Nase, Lippen und Augenbrauen tropfte.
    Oscar spuckte einen Zahn aus, und dann griff er wieder an, aber er war in seiner irrsinnigen Wut völlig unkoordiniert, und ich brauchte nur einen Schritt zur Seite zu machen und ihn an mir vorbeistürmen zu lassen. Er stoppte und glotzte mich wie ein verwundeter Kampfstier bösartig an, ein Stier, der wieder einmal von der capa genarrt worden war und nun erkannt hatte, daß sich hinter dem flatternden Tuch ein Mensch verbarg. Aber Oscar griff nicht wieder an. Er lief weiter in den Wald hinein.
    Das überraschte mich einen Augenblick, aber dann setzte ich ihm nach. Im Grunde hatte ich ihm ja nichts mehr zu sagen.
    Aber wie ein sonst ruhiger und gut abgerichteter Hund plötzlich seine Erziehung vergessen kann und instinktiv einem Radfahrer, einem beweglichen Ziel hinterherhetzt, setzte ich Oscar nach, ohne nachzudenken.
    Ich konnte ihn vor mir hören, und hin und wieder tauchte im Schneegestöber zwischen den Birkenstämmen sein schwarzer Ledermantel auf. Ich weiß nicht, wie lange wir liefen. Ich verlor jegliche Empfindung für Richtung und Zeit. Die Lungen hämmerten, und das Knie schmerzte, aber mir war alles egal.
    Durch den Schneefall war es noch schwieriger, sich in der weißen Landschaft zu orientieren. Es schneite nun so heftig, daß jede Fußspur praktisch im selben Augenblick, in dem sie entstand, zugedeckt wurde. Plötzlich war der Wald zu Ende. Er endete jäh an einer Böschung, und ich rollte vornüber und landete der Länge nach im Schnee. Ich kam wieder auf die Beine. Oscar war auch hingefallen, aber er war die ebene, kreideweiße Fläche weitergerollt. Er versuchte sich hochzurappeln, fiel wieder hin und richtete sich wieder auf und blieb hängen, als das Eis auf dem Fluß, denn auf einen solchen waren wir geraten, unter ihm brach. Auf der anderen Seite des zugefrorenen Flusses konnte man kaum die Uferböschung und die Bäume erkennen, die in dem wirbelnden Schnee beinahe verschwanden.
    Oscar zog ein Bein heraus, rutschte ab, und ich hörte wieder ein knackendes Geräusch. Dann saßen beide Beine fest, und er versank bis zum Bauch. Er blickte zu mir zurück, und ich ging behutsam auf ihn zu. Das Eis knackte. In Oscars Gesicht standen Angst und Verzweiflung. Er versuchte, sich mit den Armen herauszustemmen, aber dabei brach jedesmal noch ein Stück von dem Eis ab, das an dieser Stelle ganz dünn war. Jetzt peitschte der Schnee das schwarze Wasser, und das Loch wurde größer. Unter meinen Füßen knackte es. Ich machte noch einen Schritt. Oscar versuchte sich wieder hochzustemmen, und das Eis zersprang in einem langen Riß, der bis zwischen meine Beine lief, aber es hielt. Trotzdem blieb ich ein paar Meter von ihm entfernt stehen.
    »Warum mußten sie sterben, Oscar?« rief ich gegen den Wind, der mir Schnee ins Gesicht trieb.
    »Hilf mir, Peter«, sagte er auf spanisch. »Hilf mir. Ich erfriere.«
    »Warum, Oscar?«
    »Es war ein Irrtum. Jack und Joe sollten nur das verfluchte Foto holen und ein paar andere Negative. Sie sollten die Scheißbilder verbrennen. Es sollte wie ein normaler Einbruch aussehen, aber dann leistete Amelia Widerstand, statt sich ruhig zu verhalten. Und dann gingen diese Scheißiren zu weit. Ich hab geglaubt, alles sei weg, und dann taucht dieses beknackte Foto auf. Ich hab gedacht, es sei eingestampft. Alles. Ich hab gedacht, ich sei von der Vergangenheit befreit. Warum, zum Teufel, konntest du die Sache nicht auf sich beruhen lassen? Du konntest sie ja nicht zurückholen. Es war doch nun mal passiert, du Riesenidiot. Du bist mein Freund gewesen. Das war wirklich so. Und ich meine es
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